Minenopfer in Mozambique

Als man die 13-jährige Amelia Tivane nach ihren Wünschen fragte, schien das eine magische Frage zu sein. Das Mädchen hob erwartungsvoll den Kopf und sagte: "Ich möchte eine große Puppe mit langen Haaren und einen Puppenwagen."

Am nächsten Tag mühte sich Amelia ab, um die Pakete mit der Puppe und dem Puppenwagen zu öffnen. Sie bat ungeduldig um Hilfe. Ismail Begos, ein Orthopäde, stand neben ihr, und öffnete ihre Päckchen für sie. Nachdem sie ihre Finger über Körper und Haar gleiten hatte lassen, umklammerte Amelia die Puppe mit einer Hand. Sie sagte: "Meine Puppe heißt Nina. Das ist der Name meiner älteren Schwester."

Amelia war durch "Nina" so außer sich, daß sie Ermutigung brauchte, um ihre täglichen Aufgaben zu erfüllen: auf ihrem künstlichen Bein zu gehen, einen weißen Stock zur Orientierung zu gebrauchen, den sie mit ihrer einzigen Hand halten muß.

"Was ist das? Hilf mir. Ist es ein Stein? Nimm es weg", sagte Amelia, während sie mit ihrem Stock ungeduldig auf den Boden klopfte. Aber Begos sagte mit väterlicher Strenge: "Du mußt Deinen Weg allein finden." Sie befanden sich im Spital, auf dem Weg von Amelia´s Zimmer zum orthopädischen Zentrum.

Amelia seufzte. Sie machte nur kleine Schritte, schlug mit ihrem Stock hin und her, und nach ein paar Minuten schaffte sie es, das Hindernis allein zu überwinden. Dann setzte sie sich und legte ihr vernarbtes Gesicht in ihre Hand.

"Amelia, bist Du in Ordnung?" fragte Begos. "Ja, mir geht es gut", sagte sie. "Ich raste mich nur aus". Nach einigen Minuten stand sie auf und ging orientierungslos herum, als ob sie eine neue Welt entdecken würde - die Welt einer Blinden. Begos ließ sie allein gehen, beobachtete sie aber dabei. "Amelia ist sehr klug, neugierig, fest entschlossen und sie lernt schnell. Aber für sie wird es mehr Probleme als für die anderen Prothesenträger geben, da sie blind ist, und nur mehr eine Hand hat."

Die Krankenschwestern waren davon überzeugt, daß Amelia sterben würde, als sie vor sieben Monaten ins Spital eingeliefert wurde. Sie war auf eine Mine getreten, als sie Freunde der Familie in der südlichen Provinz Maputo besucht hatte. Die Explosion zerstörte ihre Augen und sie verlor ihr linkes Bein bis zum Knie und ihre linke Hand. Nach zwei Monaten auf der Intensivstation heilten Amelia´s Wunden, und es wurden ihr aus kosmetischen Gründen künstliche Augen eingesetzt.

Außer einem niederländischen Priester, der an den Wochenenden zu ihr kommt, erhält sie keinen Besuch. Ihre Eltern wurden während des Bürgerkrieges getötet. Seit ihrem Unfall konnte sie keinen Kontakt zu ihren neun Geschwistern und zu ihrem Onkel aufnehmen, bei dem sie lebte. Amelia vermißt auch ihre Schule - sie besuchte die 3. Klasse.

Amelia ist eine von den 20 Personen die in Mozambique jedes Monat auf eine Mine treten. 60% dieser Menschen sterben, da sie keinen Zugang zu medizinischer Versorgung haben.

Minen töten Menschen und tragen dazu bei, daß Gemeinden von Unterstützung und Entwicklung abgeschnitten werden, und daß fruchtbares Ackerland nicht bebaut werden kann. Es wird angenommen, daß im Boden des Landes über 2 Millionen Minen liegen.

Einige Monate nach Kriegsende im Oktober 1992 begann die Entminung des Landes. 1992 wurde mit Mine-Awareness-Programmen begonnen, die sich besonders an die heimkehrenden Flüchtlinge richteten. Ungefähr 6.7 Millionen Menschen, die in ihre Heimat zurückkehrten, waren durch Anti-Personen-Minen einem hohen Risiko ausgesetzt.

Das Thema der Anti-Personen-Minen wird in Radio- und TV-Sendungen in den lokalen Sprachen und auf portugiesisch besprochen, sowie in Büchern und auf Postern. Besonders wichtig aber ist das Mine-Awareness-Programm in den Schulen, und die Ausbildung von Lehrern, Gesundheits- und Sozialarbeitern.

Im Zuge dieses Programmes können viele Menschenleben gerettet werden. Ob Amelia mit mehr Wissen über Minen ihren Unfall vermeiden hätte können, steht allerdings nicht mehr zur Debatte.