UNICEF: Welle schwerer Kinderrechtsverletzungen in Konflikten

New York/Köln/Wien - Im zu Ende gehenden Jahr gab es laut UNICEF in seit langem andauernden und in neuen Konflikten eine Welle schwerer Kinderrechtsverletzungen. Von Afghanistan bis Jemen, von Syrien bis Nord-Äthiopien haben Tausende von Kindern einen verheerenden Preis für anhaltende bewaffnete Auseinandersetzungen und Gewalt zwischen verschiedenen Gruppen gezahlt. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter humanitärer Organisationen waren und sind ständigen Gefahren ausgesetzt.

© UNICEF/UN0309065/Kokic

Erst in der vergangenen Woche waren Berichten zufolge vier Kinder unter den Opfern, als im Bundesstaat Kayah im Osten Myanmars mindestens 35 Menschen getötet wurden, darunter zwei Mitarbeiter von Save the Children.

"Jahr für Jahr zeigen Konfliktparteien eine erschreckende Gleichgültigkeit gegenüber den Rechten und dem Wohlergehen von Kindern", sagte UNICEF-Exekutivdirektorin Henrietta Fore. "Kinder leiden, und Kinder sterben aufgrund dieser Gefühllosigkeit. Es muss alles getan werden, um sie zu schützen."

Für 2021 liegen noch nicht alle Daten vor. Aber allein in 2020 hatten die Vereinten Nationen 26.425 schwere Verstöße gegen Kinder offiziell dokumentiert. In den ersten drei Monaten dieses Jahres ging die Zahl der verifizierten schweren Verstöße zwar leicht zurück, doch die Fälle von Entführung und sexualisierter Gewalt stiegen im Vergleich zum ersten Quartal des Vorjahres in alarmierendem Maß an - um mehr als 50 bzw. 10 Prozent.

Die meisten Entführungen gab es in Somalia, gefolgt von der Demokratischen Republik Kongo (DRK) und den Ländern des Tschadseebeckens (Tschad, Nigeria, Kamerun und Niger). Die meisten bestätigten Fälle von sexualisierter Gewalt gab es in der Demokratischen Republik Kongo, Somalia und der Zentralafrikanischen Republik.

Seit 2005 dokumentieren die Vereinten Nationen im Rahmen eines systematischen Überwachungs- und Berichtsmechanismus schwere Kinderrechtsverletzungen in Konfliktgebieten. Seither wurden 266.000 Fälle von schweren Verstößen gegen Kinderrechte in mehr als 30 Konfliktsituationen in Afrika, Asien, dem Nahen Osten und Lateinamerika offiziell verifiziert. Die tatsächlichen Zahlen dürften weit höher liegen.

In Afghanistan ist die Zahl der bestätigten minderjährigen Opfer von Gewalt seit 2005 mit mehr als 28.500 am höchsten - das sind 27 Prozent aller verifizierten Fälle weltweit. In der Region Naher Osten und Nordafrika ist die Zahl der nachgewiesenen Angriffe auf Schulen und Krankenhäuser seit 2005 am höchsten: Allein in den ersten sechs Monaten dieses Jahres wurden 22 solcher Angriffe verifiziert.

Im Jemen wurden seit der Eskalation der Kämpfe im März 2015 laut UNICEF 10.000 Kinder getötet oder verstümmelt. Das entspricht vier getöteten oder verstümmelten Kindern pro Tag.

Jenseits der Schlagzeilen haben die Vereinten Nationen schwere Verletzungen der Kinderrechte in Ländern wie Burkina Faso, Kamerun, Kolumbien, Libyen, Mosambik und den Philippinen festgestellt.

Trotz jahrzehntelanger Gespräche mit allen Konfliktparteien und denjenigen, die Einfluss auf sie haben, sowie verbesserter Überwachungs-, Berichts- und Reaktionsmechanismen, tragen Kinder bis heute die Hauptlast von Kriegen. Jeden Tag erleiden Mädchen und Buben in Konfliktgebieten unaussprechliche Schrecken, die kein Mensch je erleben sollte.

Der Einsatz von Sprengkörpern stellt insbesondere in dicht besiedelten Gebieten eine anhaltende und wachsende Bedrohung für Kinder und ihre Familien dar. Im Jahr 2020 waren Sprengkörper, Blindgänger und Munitionsrückstände für fast 50 Prozent aller minderjährigen Opfer verantwortlich. Mehr als 3.900 Kinder wurden hierdurch getötet oder verstümmelt. Bombenangriffe und Explosivkörper sind eine tödliche Gefahr für Kinder – und sie führen dazu, dass lebenswichtige Einrichtungen wie Krankenhäuser oder Schulen nicht arbeiten können.

In vielen Fällen werden Kinder zum Opfer gleich mehrerer schwerer Verletzungen ihrer Rechte. Im Jahr 2020 führten beispielsweise 37 Prozent der von den Vereinten Nationen verifizierten Entführungen zu einer Rekrutierung der Kinder für den Krieg. In Somalia, der Demokratischen Republik Kongo und der Zentralafrikanischen Republik waren es sogar mehr als 50 Prozent der Fälle.

UNICEF ruft alle Konfliktparteien dazu auf, formale Aktionspläne zum Schutz von Kindern in Kriegsgebieten zu entwickeln und umzusetzen. Dieser Aufruf richtet sich insbesondere an die 61 Parteien, die in den Anhängen des Jahresberichts 2021 zu Kindern und bewaffneten Konflikten des UN-Generalsekretärs aufgeführt sind. Dazu gehören Maßnahmen, um schwere Verstöße gegen die Kinderrechte zu verhindern, Kinder aus bewaffneten Streitkräften und Gruppen zu befreien und sie vor sexualisierter Gewalt zu schützen. Jegliche Angriffe auf Krankenhäuser und Schulen müssen aufhören.

Seit 2005 wurden nur 37 solcher Pläne von Konfliktparteien unterzeichnet - eine schockierend niedrige Zahl, wenn man bedenkt, was für die Kinder auf dem Spiel steht. "Letztlich werden Kinder im Krieg nur dann sicher sein, wenn die Konfliktparteien konkrete Maßnahmen ergreifen, um sie zu schützen, und keine schweren Verstöße mehr begehen", so Fore. „Zum Jahresende 2021 appelliere ich an alle Konfliktparteien, Angriffe gegen Kinder zu stoppen, ihre Rechte zu schützen und nach friedlichen politischen Lösungen zu suchen.