WELTAIDSREPORT 1997: Kinder im Schatten des Infektionsrisikos

Weltweit leben Millionen Kinder im Schatten des Infektionsrisikos weil ihre grundlegenden Rechte auf medizinische Versorgung, auf Aidsaufklärung und auf Schulbildung ignoriert werden, oder weil die Umstände in denen sie leben, sie besonders anfällig machen.

Sexueller Mißbrauch von Kindern und Jugendlichen ist ein weltweites Problem, das alle Gesellschaften betrifft. Sexueller Mißbrauch hat viele Ausformungen, doch es gibt zwei Hauptbereiche: Kommerzielle sexuelle Ausbeutung - eine weltweite Multi-Milliarden Dollar Industrie - oder sexueller Mißbrauch innerhalb der Familie oder der Gemeinde - durch Verwandte, "Freunde", Lehrer, Nachbarn oder Arbeitgeber.

Niemand kennt die genaue Zahl der Kinderprostituierten in unserer Welt. Schätzungen vom Weltkongreß gegen kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern im Jahr 1996 in Stockholm ergaben unter anderem folgendes:
jedes Jahr beginnen weltweit etwa eine Million weitere Kinder als Prostituierte zu arbeiten
in Indien gibt es zwischen 400.000 und 500.000 Kinderprostituierte
in der Dominikanischen Republik arbeiten 25.400 Kinder als Prostituierte

Die Ausbeutung wächst, und das Alter der betroffenen Kinder sinkt. Der Großteil der Kinder in der Sexindustrie sind Mädchen zwischen 13 und 18 Jahren, obwohl es auch viele Fälle von jüngeren Kindern gibt. Viele dieser Kinder verbringen den Großteil ihres Lebens auf der Straße, oft flüchten sie vor Gewalt oder sexuellem Mißbrauch im Elternhaus. Andere Kinder leben in Bordellen, an die sie von Kriminellen verkauft wurden. Mädchen werden oft von ihren Eltern verkauft, oder mit falschen Versprechungen von Arbeit oder Schulbesuch in die Städte gelockt.

Mädchen sind einem größeren Risiko ausgesetzt. Die Diskriminierung von Frauen und Mädchen führt oft zu fehlender Schulbildung. Diese Mädchen haben dann auch keine Chance auf einen Arbeitsplatz. Mädchen, die sexuell mißbraucht oder zur Prostitution gezwungen wurden, werden oft gebrandmarkt und ausgegrenzt. Somit haben sie wenig Chancen auf Ausbildung, Arbeitsplätze oder auf eine Heirat.

HIV/AIDS hat sexuellen Mißbrauch und Kinderprostitution gefährlicher als je zuvor gemacht. Untersuchungen aus allen Ländern zeigen, daß HIV-Raten unter Kinderprostituierten und Straßenkindern sehr hoch sind. Eine Untersuchung an Straßenmädchen in Kenia ergab, daß 30 Prozent HIV-Positiv waren.

Der Irrglaube, daß Kinder seltener mit dem HIV-Virus infiziert sind, hat in den letzten Jahren die Nachfrage nach immer jüngeren Prostituierten enorm gesteigert. Im Gegenteil - Kinder sind aus anatomischen und organischen Gründen äußerst anfällig für HIV/AIDS und andere Geschlechtskrankheiten. Das Problem wird noch durch den mangelnden Zugang dieser Kinder zu medizinischer Versorgung bezüglich ihrer sexuellen Gesundheit verstärkt.

Unzählige Kinder werden in Industrie- und Entwicklungsländern von Verwandten, "Freunden", Nachbarn, anderen Autoritätspersonen oder Fremden sexuell mißbraucht. Viele Fälle werden nie bekannt oder den Behörden gemeldet. In einer Klinik in Harare (Zimbabwe) wurden 1990 907 Kinder unter 12 Jahren wegen Geschlechtskrankheiten behandelt. Die Mehrheit der Täter kam aus der Familie oder der Nachbarschaft. Das Phänomen der sogenannten "Sugar Daddys" vergrößert das HIV-Risiko für Mädchen. "Sugar Daddys" sind ältere Männer, die junge Mädchen mit Essen, Kleidern, Luxusartikeln und Geld zu sexuellen Beziehungen verführen. Mädchen, die als Hausangestellte arbeiten, werden oft von den Hausherren oder ihren Söhnen sexuell mißbraucht.

Sanktionen und Gesetze sind nur ein erster Schritt, um sexuellen Mißbrauch an Kindern zu beenden. Gesetze können Aufsehen erregen und sensibilisieren. Gesteigerte Aufmerksamkeit kann dazu beitragen, das Stillschweigen rund um diesen schrecklichen Mißbrauch zu durchbrechen. Gesetze gegen den sexuellen Mißbrauch existieren zwar in vielen Ländern, doch es ist meist sehr schwierig sie durchzuführen und wirksam zu machen.

Kinder und Jugendliche infizieren sich nicht nur durch erzwungenen sondern auch durch "freiwilligen" Geschlechtsverkehr. In vielen Ländern machen Jugendliche ihre ersten sexuellen Erfahrungen vor ihrem 18. Geburtstag. Einige Jugendliche haben auch sexuelle Kontakte zu Prostituierten.

Diese Kinder und Jugendlichen sind oft nicht vollständig über HIV/AIDS aufgeklärt. Oft können sie riskante Situationen nicht richtig einschätzen, und halten sozialem Gruppendruck nicht stand, zum Beispiel bei Alkohol- und Drogenkonsum, oder der Forderung nach ungeschütztem Geschlechtsverkehr. Bei jüngeren Menschen kommt es meist häufiger und in kürzeren Abständen zu Partnerwechsel, wodurch die Ansteckungsgefahr ebenfalls erhöht wird.

HIV/AIDS und Drogen: In einer Welt mit AIDS kommt es beim Injizieren von Drogen zu einer zusätzlichen Gefahr - Infizieren mit dem HIV-Virus. Wenn sich Menschen Spritzen und Nadeln für den Drogenkonsum teilen, ist das Ansteckungsrisiko sehr hoch. Doch Drogen müssen nicht unbedingt injiziert werden, um das HIV/AIDS-Risiko zu erhöhen. Alkohol und andere Drogen machen Menschen sorglos und leichtfertig - auch bei sexuellen Praktiken.

Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht, der Großteil sind Frauen und Kinder. Die Bedingungen in den Flüchtlingslagern reichen von riesigen Lagern auf dem Land ohne Infrastruktur bis zu überfüllten Barackensiedlungen in den Städten. Junge Flüchtlinge sind in solchen Situationen sehr anfällig für erzwungenen Geschlechtsverkehr. Doch selbst wenn kein Zwang ausgeübt wird, ist der Zugang zu Kondomen meist äußerst begrenzt. Vergewaltigung und sexueller Mißbrauch kommen in Flüchtlingslagern sehr häufig vor, da skrupellose Erwachsene den Umstand ausnützen, daß die Rechte der Kinder in den Lagern kaum geschützt werden.

Kinder in Gefängnissen sind oft Gewalt, Mißbrauch und Vergewaltigungen ausgesetzt. Weitere Faktoren für die HIV-Übertragung sind Drogenkonsum und Tätowierungen mit infizierten Instrumenten. Junge Menschen in Haftanstalten haben kaum Möglichkeiten, sich vor HIV/AIDS oder anderen Geschlechtskrankheiten zu schützen. Ohne Reformen werden die Rechte dieser Kinder weiterhin verletzt, und ihr Risiko wird immer höher.