UNICEF-Hintergrundinformation zum „Red Hand Day“ (Welttag gegen den Einsatz von Kindersoldat*innen) am 12. Februar 2022: 20 Jahre Zusatzprotokoll zum Verbot des Einsatzes von Kindersoldat*innen.
Vor 20 Jahren, am 12. Februar 2002, trat das „Fakultativprotokoll zu dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes, betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten“ in Kraft. Laut diesem Zusatzprotokoll zur UN-Kinderrechtskonvention dürfen Mädchen und Jungen unter 18 Jahren weder gegen ihren Willen rekrutiert werden noch an Kampfeinsätzen teilnehmen.
Bis heute haben das Zusatzprotokoll 172 Staaten ratifiziert , darunter Deutschland im Jahr 2004. Das Abkommen hat weltweit Diskussionen angestoßen und Gesetzesänderungen bewirkt.
Am 12. Februar ist Welttag gegen den Einsatz von Kindersoldaten und Kindersoldatinnen – eine jährliche Erinnerung, dass noch viel passieren muss, um diese schwere Verletzung der Kinderrechte endlich zu beenden. Der Jahrestag wird auch „Red Hand Day“ genannt, weil viele Menschen mit einem roten Handabdruck auf das Schicksal von Kindersoldat*innen aufmerksam machen.
Definition „Kindersoldat*innen“
Kindersoldat*innen sind Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren, die von Armeen oder bewaffneten Gruppen rekrutiert oder eingesetzt werden („children recruited and used by armed forces or armed groups“).
Der Begriff geht über die oft verbreitete Vorstellung hinaus, dass Kindersoldat*innen ausschließlich zum Kämpfen gezwungen werden. Es gibt jedoch auch zahlreiche Minderjährige, die von bewaffneten Gruppen für Botengänge, als Wachleute, zum Kochen oder sonstige Hilfsarbeiten eingesetzt werden, als menschliche Schutzschilde missbraucht, zu sexuellen Diensten gezwungen oder mit Kämpfern zwangsverheiratet werden – all das sind schwerste Kinderrechtsverletzungen, die die betroffenen Mädchen und Buben ihrer Kindheit berauben und sie traumatischen Erlebnissen aussetzen. Wenn im weiteren Text vereinfachend der Begriff „Kindersoldat*innen“ verwendet wird, sind alle diese Kinder und Jugendlichen gemeint.
Unbekannte Zahl an Kindersoldat*Innen
Niemand weiß genau, wie viele Kindersoldaten und Kindersoldatinnen es gibt, weil die Rekrutierung meist im Verborgenen und in schwer zugänglichen Kampfgebieten erfolgt. UNICEF geht davon aus, dass weltweit Zehntausende Kinder von bewaffneten Gruppen für ihre Zwecke missbraucht werden.
Seit der Einführung des „Monitoring and Reporting Mechanism“ vor 25 Jahren haben die Vereinten Nationen rund 93.000 Fälle von Kindern verifiziert, die von bewaffneten Gruppen zum Kämpfen oder für unterstützende Rollen missbraucht wurden.
Das sind nur die Fälle, die überprüft werden konnten – die Dunkelziffer liegt vermutlich deutlich höher. Instabilität, bewaffnete Konflikte und chronische Gewalt in vielen Teilen der Erde führen dazu, dass Kinder rekrutiert und zum Kämpfen oder zu anderen unterstützenden Tätigkeiten gezwungen werden. In Ländern wie Afghanistan, Jemen, Syrien oder Myanmar leiden Mädchen und Jungen unter Wellen von Gewalt und schwersten Kinderrechtsverletzungen.
„Sechs schwere Kinderrechtsverletzungen“
Kinder sind in Konfliktsituationen besonders gefährdet und brauchen Schutz. In vielen Ländern werden Mädchen und Jungen Tag für Tag getötet, verletzt, vergewaltigt, entführt, als Soldat*innen rekrutiert oder auf andere Weise ihrer fundamentalen Rechte beraubt. Der UN-Sicherheitsrat hat sechs schwere Verbrechen („Six Grave Violations“) gegen Kinder (unter 18 Jahren) in Konfliktsituationen definiert:
- Töten und Verstümmeln von Kindern
- Rekrutierung oder Einsatz von Kindern durch Armeen oder bewaffnete Gruppen
- Sexuelle Gewalt gegen Kinder
- Angriffe auf Schulen oder Krankenhäuser
- Entführung von Kindern
- Verwehren des humanitären Zugangs zu Kindern
Um diese Verbrechen gegen Kinder systematisch zu dokumentieren und die jeweiligen Konfliktparteien dadurch unter Druck zu setzen, haben die Vereinten Nationen 2005 den „Monitoring and Reporting Mechanism (MRM)“ eingeführt. Der UN-Generalsekretär veröffentlicht regelmäßig Berichte zu den „sechs schweren Kinderrechtsverletzungen“ in Konfliktsituationen weltweit.
UNICEF-Mitarbeiter*innen helfen dabei, Berichte über die „Six Grave Violations“ zu dokumentieren und zu verifizieren, auf Regierungen und bewaffnete Gruppen einzuwirken und beraten Regierungen bei der Entwicklung von nationalen Aktionsplänen zum Schutz von Kindern in bewaffneten Konflikten.
Ursachen für die Rekrutierung von Kindern
Kinder und Jugendliche sind leicht zu manipulieren, gehorsam und für bewaffnete Gruppierungen oft die preiswertere Alternative zu erwachsenen Soldaten. Teilweise werden Kinder entführt und mit Gewalt dazu gezwungen, zu kämpfen.
Aber auch Armut, fehlende Bildung und damit verbunden mangelnde Arbeitsmöglichkeiten können Kinder dazu bringen, sich bewaffneten Gruppen anzuschließen – und die Eltern, ihre Kinder zu Milizen zu schicken. Rache für die Ermordung von Verwandten oder das Gefühl, in der Gemeinschaft Verantwortung übernehmen zu müssen, treiben ebenfalls einige Minderjährige zu bewaffneten Gruppierungen.
Folgen für Mädchen und Buben
Kindersoldat*innen sind Opfer von Gewalt und werden gelichzeitig gezwungen, selbst Gewalt auszuüben. Nach ihrem Einsatz in Konfliktsituationen sind die Mädchen und Buben häufig traumatisiert, sie leiden an Alpträumen und psychischen Störungen. Viele Kindersoldatinnen und Kindersoldaten haben jahrelang große Brutalität erlebt, aber nie eine Schule besucht.
In den Augen der Gesellschaft gelten sie als gefährlich und werden nicht selten von ihrer eigenen Familie und Dorfgemeinschaft abgewiesen. Ehemalige Kindersoldat*innen in die Gesellschaft zu reintegrieren und ihnen Perspektiven für die Zukunft zu geben ist ein langwieriger Prozess.
Aktuelle Trends bei Kindersoldat*innen
Im aktuellen jährlichen UN-Bericht (bezogen auf 2020) sind 21 Konfliktsituationen und 26.425 Fälle von schweren Kinderrechtsverletzungen aufgelistet – das sind 72 Verbrechen gegen Kinder pro Tag oder drei pro Stunde. Diese Zahlen spiegeln nur die Fälle wider, die verifiziert werden konnten. Mit 8.521 Fällen waren 2020 die Rekrutierung oder der Einsatz von Kindersoldat*innen die häufigste schwere Kinderrechtsverletzung. 85 Prozent der Kindersoldat*innen waren Jungen.
Besonders schreckliche Auswirkungen auf Kinder hatten 2020 die Konflikte in Afghanistan, Jemen, der Demokratischen Republik Kongo, Somalia und Syrien. Die meisten verifizierten Fälle des Missbrauchs von Kindern als Soldaten wurden in Somalia (1.716), Syrien (813), Myanmar (790), DR Kongo (788), Zentralafrikanische Republik (584), Mali (284), Afghanistan (196), Jemen (163), Kolumbien (116) und Südsudan (62) dokumentiert.
Auffällig ist, dass die meisten Minderjährigen in sehr lange andauernden Konflikten eingesetzt werden. Extreme Armut und Not sowie die zunehmende Rechtlosigkeit und fehlende internationale Aufmerksamkeit tragen dazu bei, dass diese Praxis trotz weltweiter Ächtung stattfindet. Wenn in großen Zahlen Kinder und Jugendliche rekrutiert werden, erschwert dies auch die Chancen auf Versöhnung und die Rückkehr zu einer friedlichen Entwicklung nach dem Ende der Kämpfe.
Fortschritte
Trotz der besorgniserregenden aktuellen Berichte gibt es aber auch Fortschritte. So konnten laut dem aktuellen UN-Jahresbericht im Jahr 2020 durch Vermittlung der Vereinten Nationen 12.643 Kinder aus bewaffneten Gruppen befreit werden. UNICEF schätzt, dass seit 2000 mindestens 170.000 Kindersoldaten und Kindersoldatinnen befreit wurden. Einen Beitrag haben dazu auch die Aktionspläne geleistet, die die Vereinten Nationen seit 2000 mit 37 Konfliktparteien abgeschlossen haben.
Beispielsweise hat UNICEF im Südsudan zwischen 2013 und 2021 den Prozess unterstützt, 3.785 Kinder aus bewaffneten Gruppen freizulassen und wieder in die Gesellschaft zu integrieren. In Nordost-Nigeria wurden 2019 fast 900 Kindersoldat*innen befreit, darunter rund 100 Mädchen.
Kriegsverbrecher werden bestraft
2002 trat das Rom-Statut des Internationalen Strafgerichtshofs in Kraft, in dem unter anderem festgelegt wurde, dass die Rekrutierung von Kindern unter 15 Jahren als Kriegsverbrechen gilt.
In der Folge wurde 2012 der kongolesische Milizenchef Thomas Lubunga vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag wegen der Rekrutierung von Kindersoldaten und Kindersoldatinnen zu 14 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt – ein wichtiges weltweites Signal. Auch Charles Taylor, der ehemalige Präsident von Liberia, wurde 2012 zu 50 Jahren Gefängnis verurteilt . Ihm wurde eine Reihe von Kriegsverbrechen zur Last gelegt, darunter der Einsatz von Kindersoldat*innen.
2021 verurteilte der Internationale Strafgerichtshof Dominic Ongwen, einen ehemaligen Kommandanten der „Lord’s Resistance Army“ in Uganda, zu 25 Jahren Haft. Ongwens Fall ist besonders, weil er selbst als neunjähriges Kind entführt und in den Dienst der Miliz gezwungen worden war. Das Gericht war jedoch der Ansicht, dass er für die als Erwachsener begangenen Verbrechen zur Verantwortung gezogen werden muss.
Pariser Verpflichtungen und Prinzipien
Weitere Vereinbarungen wie UN-Resolutionen zu Kindern in bewaffneten Konflikten (unter anderem die Resolutionen 1612, 1882, 1998) sowie die „Pariser Verpflichtungen“ und „Pariser Prinzipien“ von 2007 verfolgen das Ziel, die Rekrutierung und den Einsatz von Kindern zu beenden, vorzubeugen sowie Kinder zu befreien und sie zu integrieren. In den „Paris Commitments“ hat man sich 2007 darauf verständigt, mehr für die Prävention des Einsatzes von Kindersoldaten und den Schutz von Kindern in Konflikten zu tun. Die „Paris Principles“ sollen praktische Leitlinien geben, wie ehemalige Kindersoldaten wieder in die Gemeinschaft integriert werden können. In den vergangenen 15 Jahren haben 112 Staaten diese Vereinbarung mitgezeichnet.
So hilft UNICEF
- Der Rekrutierung von Kindern vorbeugen: UNICEF setzt sich weltweit dafür ein, Mädchen und Jungen in Konfliktgebieten zu schützen und unterstützt unter anderem Regierungen dabei, Aktionspläne zu erarbeiten und umzusetzen. Auch Programme für Bildung und soziale Absicherung helfen zu verhindern, dass Kinder überhaupt erst rekrutiert werden.
- Kinderrechtsverletzungen dokumentieren: In Zusammenarbeit mit dem Sekretariat der Sonderbeauftragten für Kinder und bewaffnete Konflikte und anderen UN-Organisationen ist UNICEF für die Dokumentation von schweren Kinderrechtsverletzungen in Konfliktländern wie die Rekrutierung und den Einsatz von Kindern verantwortlich. Die Veröffentlichung erzeugt Druck auf die jeweiligen Konfliktparteien.
- Kindersoldat*innen demobilisieren: Mit Unterstützung von UNICEF konnten seit 2000 mindestens 170.000 Kinder und Jugendliche demobilisiert werden. Eine formale Entlassung aus den jeweiligen bewaffneten Gruppen ist wichtig, um eine Neu-Rekrutierung zu verhindern.
- Neue Chancen für ehemalige Kindersoldat*innen: Neben medizinischer und psychologischer Hilfe sind Schul- und Ausbildungsprogramme für ehemalige Kindersoldat*innen besonders wichtig. Ihre Familien und Dörfer müssen darauf vorbereitet werden, sie wieder aufzunehmen. Nur wenn es gelingt, Kindern und Jugendlichen Alternativen zur „Arbeit“ bei einer bewaffneten Gruppe zu geben, kann ihre erneute Rekrutierung verhindert werden.
Forderungen von UNICEF
- Die UN-Kinderrechtskonvention und das Zusatzprotokoll zur Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten verbieten klar die Rekrutierung und den Einsatz von Kindersoldat*innen. UNICEF fordert alle Regierungen auf, diese Vereinbarungen wirksam umzusetzen. Nationale Aktionspläne müssen, wo noch nicht geschehen, entwickelt und Schritt für Schritt umgesetzt werden.
- UNICEF fordert alle Regierungen und bewaffneten Gruppen auf, Kindersoldat*innen zu demobilisieren und für den Schutz von Zivilisten, insbesondere Kindern, zu sorgen sowie gesellschaftlichen Zusammenhalt und Friedensaufbau zu fördern.
- Rehabilitationsprogramme und Lern- und Weiterbildungsmöglichkeiten müssen ausgeweitet werden. Darüber hinaus braucht es flächendeckende Reintegrationsprogramme, die dazu beitragen, die Rückkehr ehemaliger Kindersoldat*innen in die Gesellschaft zu erleichtern.
- Menschenrechtsverletzungen müssen nachverfolgt und sanktioniert werden, um so Kinder zu schützen. Hierfür ist eine Stärkung des „Monitoring and Reporting Mechanism“ notwendig.
- Rekrutierungen müssen strafrechtlich konsequent nachverfolgt werden.