Die Kinder und Familien in der Ukraine haben seit Februar 2022 nun 365 Tage voller Gewalt, Trauma, Verlust, Zerstörung und Vertreibung erlebt. Die 7,8 Millionen Kinder des Landes wurden um 365 Tage voller Geburtstage, Schulerinnerungen, Zeit mit Freund:innen und Familie beraubt. Es gibt keinen einzigen Aspekt im Leben der Kinder, den der Krieg nicht beeinträchtigt hat: Kinder wurden getötet, verletzt, aus ihren Häusern vertrieben.
Der Krieg in der Ukraine hat Vertreibungen in einem Ausmaß und mit einer Geschwindigkeit ausgelöst, wie es sie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gegeben hat – mit weitreichenden Auswirkungen in der gesamten Region und darüber hinaus. Von den 7,9 Millionen Flüchtlingen aus der Ukraine in Europa sind die meisten Frauen und Kinder.
Für mehr als fünf Millionen Kinder in der Ukraine wurde durch den Krieg ihre Bildung unterbrochen, zuzüglich zu den zwei Jahren, die sie aufgrund der COVID-19-Pandemie auch noch verloren hatten. Der Besuch von Klassenzimmern, die ihnen das Gefühl von Struktur, Sicherheit, Normalität und Hoffnung bieten, blieb ihnen verwehrt. Die Zukunft einer ganzen Generation ist gefährdet.
„Seit den ersten Tagen dieses Krieges habe ich Familien in der gesamten Ukraine getroffen. Für sie gab es keinen Tag ohne Leid. Ihr Mut und ihre Resilienz sind bemerkenswert,“ so James Elder. „Dieser Krieg hat dazu geführt, dass zwei von drei ukrainischen Mädchen und Buben gezwungen waren, aus ihrem zu Hause zu fliehen. Solange die Angriffe andauern, wird auch die Not der Kinder anhalten.“
Der Zugang von Kindern und Familien zur Grundversorgung ist erschwert. Mehr als 1.000 Gesundheitseinrichtungen wurden Berichten zufolge durch Beschuss und Luftangriffe beschädigt oder zerstört, wobei bei solchen Angriffen Patient:innen, darunter auch Kinder, sowie medizinisches Personal getötet oder schwer verletzt wurden und der Zugang zu medizinischer Versorgung eingeschränkt ist. Tausenden Kindern, die vor dem Konflikt im ganzen Land fliehen, fehlen lebenswichtige Impfstoffe, die sie vor Polio, Masern, Diphtherie und anderen lebensbedrohlichen Krankheiten schützen.
„UNICEF hat sich verpflichtet, für die Kinder in diesem Land zu sorgen. Dafür werden wir auch weiterhin großzügige Unterstützung brauchen,“ betont Christoph Jünger, Geschäftsführer von
UNICEF Österreich. UNICEF benötigt 1,1 Milliarden US-Dollar per Stand Dezember 2022, um die unmittelbaren und längerfristigen Bedürfnisse von 9,4 Millionen Menschen, darunter 4 Millionen Kinder, innerhalb und außerhalb der Ukraine zu decken, die nach wie vor unter den Folgen des Krieges in der Ukraine leiden.
„Über die Themen Kindheit und Krieg gleichzeitig zu sprechen, sollte überhaupt nicht möglich sein!”
So lautet das Statement Dr. Nora Ramirez Castillo von HEMAYAT. UNICEF betont, dass Kinder auch ein Jahr nach Beginn des Konflikts weiterhin mit Ängsten, Sorgen und Trauer kämpfen, die mit dem Verlust geliebter Menschen, der Trennung von der Familie, der erzwungenen Vertreibung aus ihren Häusern, der Isolation und der völligen Umwälzung ihrer Kindheit verbunden sind. Schätzungsweise 1,5 Millionen Kinder sind von Depressionen, Angstzuständen, posttraumatischen Belastungsstörungen und anderen psychischen Störungen bedroht.
Die seelischen Wunden des Krieges können Kinder bis weit ins Erwachsenenalter hinein beeinträchtigen. Das Podium betonte: „Um eine vom Krieg gezeichnete Generation von Kindern zu verhindern, müssen ihre psychische Gesundheit und ihre psychosozialen Bedürfnisse vorrangig behandelt werden."
„Zu Beginn des Krieges hofften alle auf ein rasches Ende. Diese Hoffnung hat sich zerschlagen. Viele Menschen sind noch damit beschäftigt, diese Realität zu akzeptieren,” so Dr. Ramires Castillo.
Mentale Unterstützung für Menschen auf der Flucht
Dr. Ramirez bestätigt weiters, dass die Zahl der 2022 bei HEMAYAT betreuten traumatisierten Kinder und Jugendlichen aus Kriegsgebieten oder mit Foltererfahrungen mit 170 vergleichsweise hoch war.
Die ukrainischen Kinder in Österreich leben oft in zwei Welten: Sie gehen zwar hier zur Schule, besuchen aber auch Online-Angebote, die in der Ukraine stattfinden. Ihre Väter und männlichen Verwandte an der Front sind in akuter Lebensgefahr und die Kinder virtuell in ständiger Verbindung mit dem Krieg in der Heimat.
Psychotherapie kann eine zentrale Rolle dabei zukommen, dass die Kinder ihre Erfahrungen und Gefühle verarbeiten und das innere Chaos ordnen können.
Besondere Aufmerksamkeit und Priorität muss den Eltern, im Falle der Ukraine meist den Müttern, eingeräumt werden. Die mitgeflüchteten Mütter sind stark in Sorge und belastet und das Leben in Österreich wird als „Zwischenlösung“ empfunden, was es erschwert, sich darauf wirklich einzulassen.
Dass Traumata der Eltern und der Kinder große Auswirkungen haben und sowohl die Kinder als auch die Eltern Unterstützung brauchen, darauf wies UNICEF Österreich bereits in der Studie „Vergessen und anonym: Begleitete Flüchtlingskinder“ (2019) hin. Christoph Jünger erklärt: „Viele Unterstützungsangebote und Maßnahmen, die jetzt für die Ukraine schnell getroffen wurden, können ein gutes Beispiel sein, welche Unterstützungsformen auch andere geflüchtete Menschen brauchen und flächendeckend etabliert werden sollten.“
Was die Kinder nun dringend brauchen, ist Frieden!
Nach 365 Tagen Krieg brauchen die Kinder der Ukraine dringend Frieden. UNICEF fordert weiterhin:
- einen prinzipiellen und ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe,
- ein Ende der Angriffe auf Kinder und die Infrastruktur, auf die sie angewiesen sind, einschließlich Schulen, Krankenhäuser und kritische Wasser- und Lebensmittelinfrastruktur,
- die Beendigung des Einsatzes von Explosivwaffen in bewohnten Gebieten, die direkt für die Tötung und Verstümmelung von Hunderten Kindern verantwortlich sind
- vorrangige Behandlung psychischer Gesundheit und psychosozialer Bedürfnisse
Hilfe von UNICEF im Überblick
UNICEF war in der Ukraine, bevor der Krieg eskalierte, und in den 365 Tagen seither. In den Ländern, die Flüchtlinge aus der Ukraine aufnehmen, arbeitet UNICEF mit nationalen und lokalen Behörden sowie mit Organisationen der Zivilgesellschaft zusammen, um Soforthilfe und Unterstützungsdienste für Familien, die vor dem Konflikt in der Ukraine fliehen, anzubieten. Beispielsweise konnten dadurch rund 1,2 Millionen geflüchtete Menschen in 40 „Blue-Dot“-Anlaufstellen mit Informationen versorgt und psychosozial betreut werden und 32.000 Kinder auf der Flucht identifiziert und wieder mit ihren Familien vereint werden.
Seit dem 24. Februar 2022 hat UNICEF dank der Unterstützung der internationalen Gemeinschaft 770.000 Kinder mit Lernmaterial versorgt, 1,4 Millionen Kinder an formaler und nicht-formaler Bildung teilhaben lassen, 2,9 Millionen Kinder und Betreuer:innen psychisch betreut, 352.000 Frauen und Kinder bei geschlechtsspezifischer Gewalt unterstützt, 4,6 Millionen Menschen Zugang zu sauberem Wasser verschafft, 4,9 Millionen Menschen medizinische Versorgung geboten und 1,4 Millionen Menschen in der Ukraine und 47.494 Haushalten in den Nachbarländern Bargeld zur Verfügung gestellt.
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