Untersuchungen von UNICEF ergaben, daß 9 von 10 Mädchen und 2 von 3 Buben nicht zur Schule gehen
New York, 29. Dezember 1998- Nach 20 Kriegsjahren ist das afghanische Schulsystem praktisch zusammengebrochen und es gibt kaum Anzeichen für eine Verbesserung der Situation, erklärte heute das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF).
In Afghanistan lag die Rate für den Schulbesuch zwischen 1992 und 1997 für Buben bei 36% und für Mädchen bei nur 11%. Laut UNICEF können 47% der erwachsenen Männer lesen und schreiben und nur 15% der Frauen.
"In Afghanistan gab es immer schon große Bildungsunterschiede zwischen Männern und Frauen", sagte UNICEF-Direktorin Carol Bellamy. "Doch dieser Zustand wurde durch Erlässe der Taliban verschlimmert und institutionalisiert, die Mädchen den Schulbesuch und Frauen die Arbeit verbieten. Dies ist ein Verstoß gegen die Konvention über die Rechte des Kindes und gegen die Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau."
Frühere Regierungen von Afghanistan ratifizierten die Konvention über die Rechte des Kindes im Jahre 1994 und unterzeichneten die Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau im Jahre 1984. Seit der Machtübernahme durch die Taliban in einem Großteil des Landes verfolgt UNICEF eine Strategie bezüglich Schulbildung, die auf der Konvention über die Rechte des Kindes beruht: UNICEF unterstützt nur Schulprogramme, die auch von Mädchen besucht werden können. Das formale Schulsystem, von dem Mädchen ausgeschlossen sind, wird von UNICEF nicht mehr unterstützt.
In Übereinstimmung mit dem Prinzip, niemanden zu diskriminieren, stoppte UNICEF die Versorgung staatlicher Schulen in von den Taliban besetzten Gebieten seit im Herbst 1995 die ersten Mädchenschulen in Herat geschlossen wurden. UNICEF arbeitet weiterhin mit den Schulbehörden in Badakhshan zusammen, eine der wenigen Provinzen, die nicht von den Taliban besetzt ist. In Taliban-Gebieten unterstützt UNICEF einige Bildungsinitiativen in den Gemeinden, die für Buben und Mädchen durchgeführt werden. UNICEF arbeitet bei allen Bildungsprogrammen eng mit nicht-staatlichen Organisationen und anderen UN-Organisationen zusammen.
"Es bleibt die Tatsache bestehen, daß der Großteil der afghanischen Kinder, vor allem die Mädchen, ihrer Bildungsmöglichkeiten beraubt werden", sagte Carol Bellamy. "Diese Tatsache ist besonders tragisch, wenn man den hohen Bedarf der Afghanen nach Bildung in Betracht zieht. In Pakistan und im Iran bemühen sich afghanische Flüchtlinge unermüdlich um Ausbildungsmöglichkeiten für ihre Kinder.
Die Vereinten Nationen befinden sich mit den zuständigen Behörden der Taliban bezüglich der Geschlechterfrage im Bildungsbereich im Gespräch. Dieser Verhandlungsprozeß gipfelte in der Unterzeichnung eines "Memorandum of Understanding" im Mai 1998 zwischen den Vereinten Nationen und den Taliban. In diesem Memorandum ist zwar festgehalten, daß "Männer und Frauen das Recht auf Bildung haben sollen", doch Carol Bellamy erklärte, daß diese Wort erst in die Praxis umgesetzt werden müssen.
"Die Kinder von Afghanistan, Buben und Mädchen, brauchen Frieden, um ihr Potential voll entwickeln zu können und um zum Wiederaufbau ihres zerstörten Landes beitragen zu können", sagte Bellamy. "Internationale Unterstützung zur Verbesserung der Bildungs-Infrastruktur wurde bereits zugesagt und ich hoffe, daß es in der Frage der Gleichberechtigung im kommenden Jahr Fortschritte geben wird. Es gibt keinen Weg für Afghanistan, den vielfältigen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht zu werden, wenn es nicht anfängt, das Recht aller Bürger auf Bildung zu erfüllen."