Der Krieg der Kinder

Internationale Friedenskonferenz in Den Haag vom 11.–15.5.1999: UNICEF fordert weltweite Demobilisierung von Kindersoldaten: Allein in Sierra Leone kämpfen 4.000 Kinder

Anläßlich der internationalen Friedenskonferenz vom 11.–15. Mai in Den Haag fordert UNICEF die weltweite
Demobilisierung von Kindersoldaten und ein Verbot der Rekrutierung Minderjähriger. Schätzungsweise
300.000 Kinder werden heute als Soldaten mißbraucht, nahezu die Hälfte davon in Afrika. Die massenhafte
Rekrutierung von Kindersoldaten in Ländern wie Sierra Leone, Uganda oder Sri Lanka zeigt den veränderten
Charakter der Kriege am Ende des 20. Jahrhunderts. Es sind meist innerstaatliche Konflikte, bei denen sich die
Konfliktparteien an keine Konventionen halten und Minderjährige als Zielscheibe ihres Terrors benutzen oder
als Kämpfer in das Kriegsgeschehen einbeziehen. So werden Kinder zu Tätern gemacht – und sind doch Opfer,
die schwere physische und psychische Schäden davontragen. UNICEF fordert vor diesem Hintergrund:

* Die Rekrutierung von Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren muß weltweit verboten werden. Alle
minderjährigen Soldaten müssen demobilisiert werden.
* Ehemalige Kindersoldaten brauchen gezielte Hilfe bei der Wiedereingliederung in ihre Dörfer und
Gemeinden. Ihnen muß mit Ausbildungsprogrammen sowie medizinischer und psychologischer Betreuung
geholfen werden.
* Um stärkeren Druck auf die betroffenen Staaten auszuüben, setzt sich UNICEF für ein Zusatzprotokoll zur
UN-Kinderrechtskonvention ein. Das Mindestalter für die Rekrutierung soll dort von zur Zeit 15 auf 18
Jahre heraufgesetzt werden.

Die internationale Friedenskonferenz in den Haag erinnert an die Verabschiedung der Haager Konvention vor
100 Jahren. Diese stellte einen ersten Versuch dar, durch eine „Landkriegsordnung“ kriegerische
Auseinandersetzungen „humanen“ Regeln zu unterwerfen. Über tausend Organisationen sind auf der Konferenz
vom 11.-15. Mai vertreten, darunter auch UNICEF. UN-Generalsekretär Kofi Annan sowie zahlreiche
Nobelpreisträger wie Desmond Tutu, Rigoberta Menchu und Jose Ramos Horta werden dort sprechen. Ziel der
Konferenz ist es, Perspektiven bei der Abrüstung, der Konfliktprävention, der Umsetzung internationaler
Menschenrechte und der Friedenserziehung aufzuzeigen.

Ein Beispiel: Kindersoldaten in Sierra Leone

In 26 Ländern der Erde dienen Kinder unter 15 Jahren als Soldaten. Besonders grausam ist der Einsatz von
Kindern im Bürgerkrieg im westafrikanischen Sierra Leone. In den Reihen der Rebellenbewegung
„Revolutionary United Front“ (RUF) kämpfen mindestens 2.500 Kindersoldaten, und auch bei den
regierungstreuen Milizen dienen nach wie vor 1.500 Minderjährige. Oft sind die Kindersoldaten kaum älter als
acht Jahre. Offiziell ist dies zwar verboten, aber weil die staatliche Ordnung weitgehend außer Kraft gesetzt
ist, wird dies nicht geahndet.

Unter den Rebellen, die im Januar 1999 die Hauptstadt Freetown stürmten, waren viele Minderjährige. Sie
waren an Exekutionen, Mißhandlungen, „Straf“-Amputationen und Vergewaltigungen beteiligt. Seit dem
Rückzug der Rebellen wurden UNICEF über 3.000 Kinder und Jugendliche als vermißt gemeldet, davon mehr
als die Hälfte Mädchen. Vermutlich wurden viele von ihnen von den Rebellentruppen entführt. Es ist zu
befürchten, daß die Jungen jetzt selbst zu Kämpfern gemacht werden. Die Mädchen müssen vermutlich den
Soldaten sexuell zu Diensten sein. Bis heute haben die Rebellen der RUF 54 der entführten Kinder und die
westafrikanischen Friedenstruppen (ECOMOG) 93 gefangene Kindersoldaten an UNICEF übergeben.

Warum werden Kinder zu Kämpfern gemacht?

Heranwachsende gelten als gefügige und leicht zu manipulierende Kämpfer. Ein Kommandeur der
regierungstreuen Milizen in Sierra Leone drückte dies so aus: „Den Erwachsenen trauen wir nicht so sehr, weil
sie nicht richtig gehorchen. Dann machen sie Fehler und werden schnell vom Feind getötet.“

Kinder haben dagegen nur eine wenig entwickelte Hemmschwelle gegenüber Gewalt. Unter Alkohol und Drogen
gesetzt, sind sie zu großen Grausamkeiten fähig. Ein 14jähriger berichtete einem französischen Journalisten
über Foltermethoden: „Um zwei Uhr werden die Augen ausgestochen, um drei wird eine Hand abgeschnitten,
um vier ist die andere dran. Um fünf wird ein Fuß abgeschnitten....“

Nicht alle Kinder werden zum Töten eingesetzt. In Sierra Leone werden sie auch benutzt, um unauffällig die
Straßenzüge der Hauptstadt Freetown und die Stellungen der ECOMOG-Truppen zu erkunden. Sie dienen auch
als menschliche Schutzschilde gegen die Friedenstruppen.

Viele Kinder in Sierra Leone haben in ihrem Leben nichts anderes als Gewalt und Krieg erlebt. Mit einer
leichten Maschinenpistole in der Hand, haben sie das Gefühl von Macht und können sich Respekt in ihrer
Umgebung erzwingen. Im Schutz ihrer „Einheit“ fühlen sie sich sicher. Ein 14jähriger: „Ich bin ein
Rebellen-Killer. Ich will nicht demobilisiert werden, weil die Rebellen wissen, daß ich sie gnadenlos töten
werde“.

UNICEF-Hilfe für ehemalige Kindersoldaten in Sierra Leone

Seit Jahren setzt sich UNICEF in Sierra Leone für die Demobilisierung von Kindersoldaten ein. Doch dies ist
nicht einfach: Die meisten Kindersoldaten sind nie zur Schule gegangen und haben keinerlei Ausbildung.
Kinder, die zu den Rebellen der RUF gehört haben, werden in den Gemeinden abgelehnt, da die RUF für
entsetzliche Grausamkeiten während des Krieges verantwortlich ist. Hinzu kommt noch, daß Schulen,
Krankenhäuser und andere öffentliche Einrichtungen zerstört sind. Tausende Familien sind obdachlos und
können kaum für ihre Kinder sorgen.

UNICEF unterstützt in Sierra Leone wie in vielen anderen Ländern ein Rehabilitationszentrum für ehemalige
Kindersoldaten sowie Pflegefamilien, die Kinder aufnehmen. UNICEF versucht auch, die Gemeinden auf die
Rückkehr der Kinder vorzubereiten. Weiter bildet UNICEF zur Zeit 150 Helfer aus, die sich um die
psychologische und medizinische Betreuung freigelassener Kinder kümmern, und hilft bei der Suche nach
verschwundenen Kindern.