IRAK: UNTERSUCHUNGEN WEISEN AUF „HUMANITÄREN NOTFALL“ HIN

Gemeinsamer Report von UNICEF und der irakischen Regierung zeigt dramatischen Anstieg der Todesfälle von Kindern und Säuglingen

Die ersten Untersuchungen im Irak seit 1991 von Kinder- und Müttersterblichkeit zeigen, daß in den stark bevölkerten südlichen und zentralen Gebieten des Landes heute doppelt so viele Kindern unter 5 Jahren sterben wie vor 10 Jahren. UNICEF-Direktorin Carol Bellamy sagte, daß diese Ergebnisse auf einen fortwährenden humanitären Notfall hinweisen.

Die Untersuchung wurde heute veröffentlicht und erfaßt auch die autonome nördliche Region des Irak. Die Studien wurden zwischen Februar und Mai 1999 von UNICEF und der irakischen Regierung in den südlichen und zentralen Gebieten des Irak durchgeführt, in der nördlichen Region kooperierte UNICEF mit den lokalen Behörden. Technische Unterstützung wurde von der WHO zur Verfügung gestellt. UNICEF empfiehlt nun die sofortige Implementierung von speziellen Vorschlägen, die im United Nation´s Secretary-General´s Report und vom Security Council´s Humanitarian Review Panel gemacht wurden. Unter den speziellen Vorschlägen finden sich auch folgende:

* Die internationale Staatengemeinschaft sollte zusätzliche Gelder für humanitäre Maßnahmen im Irak zur
Verfügung stellen.
* Die Regierung des Irak sollte dringend die Implementierung von gezielten Ernährungsprogrammen
beschleunigen.
* Die Regierung des Irak und das U.N. Sanctions Committee sollten jenen Verträgen für Lieferungen
Vorrang geben, die sich direkt auf das Wohlergehen von Kindern auswirken.

Die Untersuchung zeigt, daß sich in den südlichen und zentralen Gebieten des Irak, wo 85% der Bevölkerung leben, die Sterblichkeit von Kindern unter 5 Jahren mehr als verdoppelt hat – von 56 Todesfällen pro 1000 Lebendgeburten (1984-89) auf 131 Todesfälle pro 1000 Lebendgeburten (1994-99). Die Säuglingssterblichkeit erhöhte sich innerhalb des gleichen Zeitrahmens von 47 Todesfällen pro 1000 Lebendgeburten auf 108 pro 1000. Die Müttersterblichkeitsrate beträgt 294 Todesfälle pro 100.000 Lebendgeburten in der Zeitperiode von 1989 bis 1999.

Carol Bellamy hielt fest, daß zwischen 1991 und 1998 eine halbe Million Kinder weniger gestorben wäre, wenn sich die beträchtliche Verringerung der Kindersterblichkeit, die im Irak in den 80-er Jahren erreicht wurde, auch in den 90-er Jahren fortgesetzt hätte. In diesem Zusammenhang wies Bellamy auf ein Statement des Security Council Panel on Humanitarian Issues hin, welches sagt: „Auch wenn das Leid im Irak nicht ausschließlich externen Faktoren, vor allem Sanktionen, zugeschrieben werden kann, würde das irakische Volk nicht solchen Entbehrungen ausgesetzt sein wenn es die Maßnahmen des Sicherheitsrates und die Auswirkungen des Krieges nicht gäbe.“

UNICEF – als Mitglied der Vereinten Nationen – anerkennt, daß Wirtschaftssanktionen ein Instrument der internationalen Staatengemeinschaft sind, um Friede und Sicherheit zu fördern, fügte Bellamy hinzu.

„Aber es ist unser Anliegen, daß, wann immer Sanktionen auferlegt werden, sie so angelegt und implementiert werden sollten, daß negative Auswirkungen auf Kinder verhindert werden“, sagte Bellamy. „Untersuchungen über die Situation von Kindern und Frauen sind wesentlich für die laufende Überprüfung der humanitären Situation.“

Bellamy sagte auch, daß die Ergebnisse der Untersuchungen nicht einfach als Versuch des Irak, Widerstand gegen die UN-Sanktionen zu mobilisieren, abgetan werden können.

24.000 Haushalte in den südlichen und zentralen Gebieten des Irak wurden ausschließlich von Ärztinnen untersucht. In der nördlichen Region waren 80% der Durchführenden Frauen, und alle waren medizinisch ausgebildet. Durch diese Faktoren konnte die Fehlerspanne sehr gering gehalten werden.

UNICEF war an allen Aspekten der Untersuchungen beteiligt, von der Planung bis hin zur Analyse der Daten. „Wir sind mit der Qualität der Untersuchungen sehr zufrieden. Sie wurden von unabhängigen Experten überprüft, und es wurden keine größeren Probleme bezüglich Resultate oder Durchführungsweise gefunden“, sagte Bellamy.

UNICEF sagte auch, daß es im Irak zu einem dramatischen Anstieg von Fläschchennahrung für Säuglinge gekommen ist. Angesichts der Auswirkungen von Fläschchennahrung auf Mangelernährung und Kindersterblichkeit, fordert UNICEF die Regierung dazu auf, künstliche Babynahrung von den Zuteilungen zu streichen und durch Zusatznahrung für schwangere und stillende Frauen zu ersetzen. UNICEF fordert die Regierung auch dazu auf, die ausschließliche Ernährung von Säuglingen mit Muttermilch als nationale Politik zu fördern.

Zusätzlich betont UNICEF den Bedarf nach völliger Rehabilitation des Bildungswesens im Irak und fordert die Konzentration auf Qualität der Bildung, Rehabilitation der Infrastruktur und Planung für die Zukunft.

Die Untersuchung in den südlichen und zentralen Gebieten des Irak ergaben zusätzlich folgende Zahlen:

* Die Sterberate von Mädchen unter 5 Jahren ist ein wenig geringer (125 Todesfälle pro 1000
Lebendgeburten) als die von Buben (121 pro 1000).
* Kinder in ländlichen Gebieten haben eine höhere Sterblichkeitsrate (145 pro 1000) als Kinder in Städten
(121 pro 1000).

In der autonomen nördlichen Region stieg die Sterblichkeitsrate von Kindern unter 5 Jahren von 80 Todesfällen pro 1000 Lebendgeburten (1984-89) auf 90 pro 1000 (1989-94). Diese Rate sank zwischen 1994 und 1999 auf 72 Todesfälle pro 1000 Lebendgeburten. Die Säuglingssterblichkeitsraten in der nördlichen Region folgen einem ähnlichen Muster.

Die momentane Sterblichkeitsrate von Kindern unter 5 Jahren im Süd- und Zentralirak von 131 Todesfällen pro 1000 Lebendgeburten ist vergleichbar mit den gegenwärtigen Raten in Haiti (132 pro 1000) und Pakistan (136 pro 1000).