Neuer UNICEF-Report: Jugendliche in Osteuropa

Ein neuer UNICEF Report setzt sich mit der "Übergangs-Generation" auseinander – mit jenen 65 Millionen jungen Menschen in Ost- und Zentraleuropa und der ehemaligen Sowjetunion, die während der Übergangszeit vom Kommunismus zur Marktwirtschaft aufgewachsen sind. <br /><br />Mehr Möglichkeiten für Jugendliche aber auch mehr Krankheiten, mehr Schulabbrecher und mehr Arbeitslosigkeit, heißt es im Report.<br />

Genf/Wien – 8. November 2000 – Der Übergang von kommunistischen Systemen zur Marktwirtschaft hat den jungen Menschen in Ost- und Zentraleuropa sowie der ehemaligen Sowjetunion neue soziale und wirtschaftliche Möglichkeiten eröffnet, andererseits auch zu mehr Krankheiten, Schulabbrechern und Arbeitslosigkeit geführt, heißt es in einem neuen Report, der heute von UNICEF vorgestellt wurde.

Der UNICEF-Report, "Young People in Changing Societies", setzt sich erstmals mit der Situation der Jugendlichen in den 27 Transformationsländern auseinander. 65 Millionen junge Menschen zwischen 15 und 24 Jahren stellen die Reformen des letzten Jahrzehnts auf die Probe, denn sie sind die erste Generation seit dem Fall der Berliner Mauer, die ihre Ausbildung abschließt, Jobs sucht, heiratet und Familien gründet.

Der Report stellt fest, daß jene Länder, die im Transformationsprozeß bereits weiter fortgeschritten sind, jungen Menschen mehr Möglichkeiten hinsichtlich Bildung, Geschäftsleben und Politik bieten. Der Report warnt aber gleichzeitig, daß neue Freiheiten auch neue Risiken bedeuten. Darunter sind auch Gefahren, die früheren Generationen nicht bekannt waren: Arbeitslosigkeit, Drogen und HIV/AIDS.

"Diese Generation wird oft als Gewinner der Transformation dargestellt, und sie ist es auch", sagt UNICEF-Direktorin Carol Bellamy. "Aber wir sind wegen der tausenden Jugendlichen besorgt, die durch den Rost fallen: Drogensüchtige, Straßenkinder, junge Prostituierte, Langzeitarbeitslose und HIV-positive. Ihre Anzahl steigt."

Der UNICEF-Report warnt davor, daß die Gesundheit einer ganzen Generation bedroht ist. Der Report warnt weiters vor einer bevorstehenden HIV/AIDS-Krise in einer Region, die noch vor wenigen Jahren kaum von HIV/AIDS betroffen war. In einigen Ländern, vor allem in Rußland und der Ukraine, steigen die Infektionsraten extrem an – Ende 1999 gab es hier etwa 360.000 Fälle.

"Die Hälfte dieser Menschen sind jünger als 24 Jahre," sagte Carol Bellamy. "Es gibt kein Anzeichen dafür, daß die Infektionsraten sinken. Wir fürchten, daß das Schlimmste noch kommt."

Der Report weist darauf hin, daß sich der Konsum von Alkohol, Drogen und Tabak in vielen Ländern der Region verstärkt hat, ebenso sind die Selbstmordraten angestiegen.

In 16 Ländern ist heute die Jugendsterblichkeitsrate niedriger als 1989, darunter die Baltischen Staaten und alle zentraleuropäischen Länder. In 11 Ländern ist die Jugendsterblichkeitsrate heute höher als vor 10 Jahren, darunter Rußland, Ukraine, Weißrußland, Aserbaidschan, Kasachstan und Turkmenistan.


Schwerpunkte des Reports:

Arbeitslosigkeit
Die "Übergangs-Generation" ist mit einem Phänomen konfrontiert, das ihrer Elterngeneration noch unbekannt war: Arbeitslosigkeit. 1998 lag die Arbeitslosigkeitsrate der 15 – 24-jährigen bei 30 Prozent (in jenen 18 Ländern wo Daten verfügbar waren), also doppelt so hoch wie die allgemeine Arbeitslosigkeitsrate. Von diesen Jugendlichen waren 40 Prozent bereits über ein Jahr ohne Job. Außerdem gibt es extreme Unterschiede in der gesamten Region: so liegt zum Beispiel in der Tschechischen Republik die Jugendarbeitslosigkeitsrate bei 7%, in Mazedonien bei 70 Prozent. In der gesamten Region haben etwa ein Drittel der Jugendlichen Arbeit.

Bildung
Quer durch die Region hat der Report ein unterschiedliches Bild vorgefunden. Es gibt zwar mehr Möglichkeiten für Jugendliche aber auch mehr Chancenungleichheiten. Positiv zu vermerken ist, daß die Jugendlichen mehr Wert auf Bildung legen, daß die Einschulungsrate für den Hochschulbereich ansteigt und daß der Frauenanteil in den Hochschulen größer wird. Negativ zu vermerken ist, daß sich in der Oberstufe die Zahl der Schulabbrecher zwischen 1989 und 1999 um 3 Millionen erhöht hat. Der Report stellt weiters fest, daß Länder mit niedrigen Einschulungsraten auch bezüglich Wirtschaftsreformen nachhinken. Der Report ruft auch hinsichtlich Lehrmethoden und Lehrplänen zu mehr Jugendfreundlichkeit auf.

Verbrechen
Die Umbrüche des letzten Jahrzehnts wurden von einem allgemeinen Anstieg von Verbrechen und Gewalt in der ganzen Region begleitet. Unter den 27 Millionen 14- bis 17-Jährigen gibt es pro Jahr etwa 500.000 neue Fälle von Jugendlichen, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten – doppelt soviel wie 1989. Der Report stellt noch andere beunruhigende Trends fest: die steigende Zahl von Wiederholungstätern, die relativ hohe Zahl von Tätern unter 14 Jahren, die steigende Zahl von Mädchen, die mit dem Gesetz in Konflikt kommen und das verstärkte Vorkommen von Verbrechen in Zusammenhang mit Drogen. Der Report weist darauf hin, daß Jugendliche vor der Gerichtsverhandlung oft sehr lange inhaftiert sind und fordert Regierungen dazu auf, ihre Justizsysteme mit internationalen Standards und Konventionen in Einklang zu bringen.


Junge Bürger
Laut UNICEF-Report existiert in der Region eine steigende Präsenz von jungen Menschen in Regierungsposten. Junge Menschen unterstützen zwar die demokratischen Reformen stärker als die ältere Generation, gehen aber weniger häufig zur Wahl. Die Jugendlichen sind oft kritisch, sogar skeptisch hinsichtlich der Arbeit der neuen demokratischen Institutionen. Heute sind weniger junge Menschen Mitglieder von Jugendorganisationen als vor 10 Jahren, auch an Sport- oder Freizeitaktivitäten nehmen weniger Jugendliche teil.

UNICEF, mit Büros in allen 27 Ländern dieser Region vertreten, beobachtet die Auswirkungen der wirtschaftlichen und sozialen Transformation auf Kinder und Frauen regelmäßig seit 1992. Dieser neueste Report "Young People in Changing Societies" fordert Maßnahmen, um die Situation der jungen Menschen zu verbessern. Zum Beispiel:

+ Faire und breit gefächerte Bildungsangebote
+ Mehr aktive Arbeitsmarktmaßnahmen für Jugendliche
+ Prävention bezüglich Mißbrauch von Tabak, Alkohol und Drogen
+ Implementierung internationaler Standards hinsichtlich Jugendlicher in Konflikt mit dem Gesetz
+ Förderung der Partizipation von Jugendlichen an der Gesellschaft
+ Mehr Sorgfalt und Aufmerksamkeit im Bereich sexuelle Gesundheit

Der UNICEF-Report fordert die Regierungen dazu auf, junge Menschen als einen Gewinn für die Region zu betrachten, als Teil der Lösung für wirtschaftliche und soziale Mißstände und nicht als Teil des Problems.