AIDS, Kriege und bittere Armut machen die Errungenschaften dieses Jahrhunderts zunichte.
Berlin/Wien, 13.Dezember 1999 - Ungeachtet der großen Fortschritte, die in den letzten 100 Jahren für die Kinder errungen werden konnten, gibt es laut UNICEF am Beginn des neuen Jahrtausends viele Versprechen an die Jüngsten dieser Welt, die nicht erfüllt wurden. Der weltweite Mangel an Engagement der politischen Entscheidungsträger bedeutet für die Kinder, daß sie weiterhin getötet und verletzt werden, dem Mißbrauch und der Ausbeutung ausgesetzt sind und daß ihre Rechte kraß verletzt werden.
Anläßlich der Präsentation des "Berichts zur Situation der Kinder in der Welt 2000" - dem jährlich erscheinenden UNICEF-Bericht - stellte UNICEF-Direktorin Carol Bellamy fest, daß überall in den Entwicklungsländern HIV/AIDS, bewaffnete Konflikte und tiefe Armut die Errungenschaften des letzten Jahrhunderts zunichte machen und das Überleben, die Entwicklung und den Schutz von Millionen von Kindern gefährden.
"Fortschritte in der Wissenschaft und Technik haben dazu geführt, daß es Kinderlähmung bald nicht mehr geben wird und daß Todesfälle infolge von Masern drastisch reduziert werden konnten. Gleichzeitig hat ein Vakuum an Führungsstärke dazu geführt, daß in bewaffneten Konflikten Kinder und Frauen unbarmherzig als Ziele dienen. Es hat dazu geführt, daß AIDS zur Haupttodesursache in Afrika wurde. Und dieses Vakuum hat dazu geführt, daß es zu einem verheerenden Sinken der Entwicklungshilfe für die ärmsten Nationen kam", sagte Bellamy. "Wenn wir den Beginn des neuen Jahrtausends nicht als Gelegenheit wahrnehmen, um die fürchterliche Misere zu lösen, der unsere Kinder gegenüberstehen, dann machen wir uns schuldig an der Fortführung ihres Leidens und an den weitreichenden Verletzungen ihrer Rechte. Wir haben die Wahl."
Bellamy bemerkte, daß die sozialen und technischen Veränderungen, die das 20. Jahrhundert geprägt haben, große Hoffnungen auf Verbesserungen der Gesundheit und der Entwicklung von Kindern enthielten. Pocken wurden ausgerottet und Impfungen gegen die häufigsten Kinderkrankheiten gaben Anlaß zur Hoffnung für hunderte Millionen Kinder. Durch den weit verbreiteten Konsum von jodiertem Salz konnte ein Hauptgrund für geistige Behinderung eliminiert werden. Die meisten Kinder dieser Erde erhalten mittlerweile eine Grundschulbildung. Millionen von Kindern wurden aus dem Joch harter Arbeit befreit. Und 1989 erkannte die Welt, daß auch Kinder Grundrechte haben. Diese Rechte wurde in der Konvention über die Rechte des Kindes festgelegt - weltweit findet kein anderes Menschenrechtsdokument mehr Zustimmung.
Doch der Bericht vermerkt, daß am Beginn der 90er Jahre Regierungen weltweit ambitionierte Verpflichtungen gegenüber Kindern eingegangen sind, die aufgrund mangelnder Führungsstärke nicht erfüllt wurden. Dieses Versäumnis hat den Einfluß von durchaus abwendbaren Miseren verstärkt. Dazu gehören:
* HIV/AIDS: In Afrika ist HIV/AIDS mittlerweile eine weit verbreitete Seuche, auch in Südostasien und anderen Teilen der Welt ist das Leben junger Menschen gefährdet. Jede Minute werden fünf weitere junge Menschen mit HIV infiziert. Bis Jahresende 2000 werden insgesamt 13 Millionen Kinder einen oder beide Elternteile durch AIDS verloren haben. Mehr als 11 Millionen junge Menschen im Alter zwischen 15 und 24 Jahren leben bereits mit HIV.
* Konflikte und Gewalt: Während der 90er Jahre haben bewaffnete Konflikte, humanitäre Notfälle und Naturkatastrophen weltweit hunderttausende Kinderleben vernichtet. Hunderttausende Kinder wurden in ihrem eigenen Land vertrieben oder wurden Flüchtlinge infolge von bewaffneten Konflikten. Humanitäre Notfälle gibt es derzeit in 56 der Länder, in denen UNICEF tätig ist.
* Armut: Ungeachtet eines noch nie dagewesenen Wohlstandes der weltweiten Wirtschaft - die Weltwährungsmärkte setzen täglich 1,5 Billionen US$ (über 20 Billionen öS) um - müssen mehr als 1,2 Milliarden Menschen mit nur 1 US$ pro Tag ihr Auslangen finden. Mehr als 600 Millionen davon sind Kinder. Das Pro-Kopf-Einkommen ist heute - angepaßt an die Inflation - in 80 Ländern niedriger als vor 10 Jahren. Im Gegensatz dazu ist das Einkommen in reichen Ländern 74 mal höher als in den ärmsten Nationen.
Kinder die das Glück haben, der bitteren Realität von Armut, Konflikten oder HIV/AIDS zu entgehen, entgehen deswegen noch lange nicht den Verletzungen ihrer Grundrechte, die durch zu geringe Investitionen in Gesundheitsvorsorge, Sozialeinrichtungen und Ausbildungsmöglichkeiten entstehen.
Zwar sinken die Todesfälle von Unter-Fünfjährigen in den Entwicklungsländern allgemein, die Gesundheit der Kinder in den Ländern südlich der Sahara ist aber noch immer stark bedroht. Allein in dieser Region starben letztes Jahr ungefähr 4,1 Millionen Kinder, die jünger als 5 Jahre waren - 1980 waren es noch 3,3 Millionen.
In 25 Ländern - bis auf eine Ausnahme alle in Afrika - hat ein Kind, das heute zur Welt kommt nicht einmal eine Lebenserwartung von 50 Jahren, während ein Baby, das in einem der reichsten Staaten zur Welt kommt, eine durchschnittliche Lebenserwartung von 78 Jahren hat. 130 Millionen Kinder haben in den Entwicklungsländern keinen Zugang zu Grundschulbildung, 60% davon sind Mädchen. In 30 Ländern kann die Hälfte der Bevölkerung über 15 Jahren weder lesen noch schreiben. In 29 Ländern gehen weniger als 15% der Mädchen in eine weiterführende Schule.
Bellamy verkündete ein Drei-Punkte-Programm um den größten Problemen der Kinder am Beginn des 21. Jahrhunderts zu begegnen:
* Betreuung im Kleinkindalter und rechtzeitige Förderung der Entwicklung
* Grundschulbildung
* Konzentration auf Jugendliche.
"Die Welt hat die Mittel und die Erfahrung um zu wissen, was Kinder brauchen. Jetzt ist die Zeit gekommen unseren Worten Taten folgen zu lassen. Dadurch können wir signifikante Änderungen für Kinder in einer einzigen Generation herbeiführen," betonte Bellamy.
Sie sagte, daß mit Zustimmung der Regierungen von Thailand und Uganda und mit UNICEF-Unterstützung AIDS-Programme geschaffen wurden, die Vorbild für eine groß angelegte Ausweitung der Kampagne gegen HIV/AIDS sind. In 29 Nationen hat UNICEF die Anstrengungen für Ausbildungsprogramme für arbeitende Kinder, die nicht zur Schule gehen, unterstützt. In den Entwicklungsländern gibt es derzeit ungefähr 130 Millionen Kinder die nicht zur Schule gehen und ungefähr 250 Millionen arbeitende Kinder im Alter zwischen 5 und 14 Jahren.
"Wenn die Rechte aller wirklich respektiert werden," sagte sie, "wird für die nächste Generation Wohlstand nicht nur auf die heute Reichen beschränkt sein, HIV/AIDS wird überall rückläufig sein und die grausame, lang andauernde Gewalt von bewaffneten Konflikten wird nach und nach vom politischen Horizont der Welt verschwinden. Kinder, die sonst in Gefahr wären, werden frei aufwachsen, spielen und lernen können - sicher und gesund. Warum? Weil die Welt schließlich ihre Verpflichtungen gegenüber ihren Kindern anerkennen wird und zugeben wird müssen, daß die einzig sinnvolle Welt eine der Fairneß und Gerechtigkeit gegenüber allen ist."