Sudan: Zunehmende Gewalt gegen Frauen und Mädchen

New York/Köln/Genf/Wien - Hochrangige Vertreter der Vereinten Nationen haben ihre Bestürzung über die zunehmenden Berichte von geschlechtsspezifischer Gewalt seit dem Ausbruch der Kämpfe im Sudan vor mehr als elf Wochen geäußert und diese verurteilt – einschließlich sexueller Gewalt gegen Frauen und Mädchen auf der Flucht.

Sie fordern ein sofortiges Ende der Gewalt gegen Frauen und Mädchen, darunter sexuelle Übergriffe als Kriegstaktik, um die Bevölkerung zu terrorisieren. Zeitnahe, gründliche, unparteiische und unabhängige Untersuchungen aller mutmaßlichen Verstöße gegen die Menschenrechte und schwerer Verletzungen des humanitären Völkerrechts sind dringend notwendig und alle Täter sollten zur Rechenschaft gezogen werden. Alle Parteien sollten zudem ihren Verpflichtungen im Rahmen des humanitären Völkerrechts und den Menschenrechten nachkommen und Überlebenden einen sicheren Zugang zu medizinischer Versorgung sowie medizinischem Personal Zugang zu Gesundheitseinrichtungen gewährleisten.

Die Leiter des UN-Büros für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA), des UN-Menschenrechtsbüros, des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR), des UN-Kinderhilfswerks (UNICEF), des UN-Bevölkerungsfonds (UNFPA), von UN Women und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) betonten ebenfalls die Notwendigkeit, Maßnahmen zur Prävention von geschlechtsspezifischer Gewalt sowie Unterstützungsangebote im Sudan und in den Nachbarländern auszuweiten. Seit Beginn des Konflikts hat das UN-Menschenrechtsbüro im Sudan glaubwürdige Berichte über 21 Vorfälle konfliktbedingter sexueller Gewalt gegen 57 Frauen und Mädchen erhalten – darunter mindestens zehn Mädchen. In einem Fall wurden Berichten zufolge bis zu 20 Frauen bei ein und demselben Angriff vergewaltigt.

Auch bei der Abteilung zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen des sudanesischen Ministeriums für soziale Entwicklung gehen weiterhin Berichte über sexuelle Gewalt ein. Es wurden mindestens 42 mutmaßliche Fälle in der Hauptstadt Khartum und 46 in der Region Darfur dokumentiert.

Erneut beobachten wir einen Anstieg grausamer sexueller Gewalt in einer Notsituation,“ sagte UNICEF-Exekutivdirektorin Catherine Russell. „Es handelt sich um eine weit verbreitete, aber allzu oft im Verborgenen bleibende Menschenrechtsverletzung, die verheerende langfristige physische und mentale Folgen für die Überlebenden haben kann. Es ist wichtig, Präventions- und Unterstützungsangebote zu entwickeln, die die Bedürfnisse von Frauen, Mädchen und allen Überlebenden in den Mittelpunkt stellen."

Tatsächliche Zahl der Fälle könnte viel höher sein

Bereits vor dem Ausbruch der Kämpfe am 15. April waren nach Schätzungen der Vereinten Nationen mehr als drei Millionen Frauen und Mädchen im Sudan von geschlechtsspezifischer Gewalt, einschließlich Gewalt in der Partnerschaft, bedroht. Inzwischen ist diese Zahl auf schätzungsweise 4,2 Millionen Menschen angestiegen.

Angesichts der hohen Dunkelziffer bei geschlechtsspezifischer Gewalt ist davon auszugehen, dass die tatsächliche Zahl der Fälle weitaus höher liegt. Für viele Überlebende ist es aufgrund von Scham, Stigmatisierung und Angst vor Repressalien schwierig, sexuelle Gewalt zu melden.

Auch eine unzureichende Stromversorgung und Internetverbindung sowie fehlender Zugang für humanitäre Helfer*innen aufgrund der instabilen Sicherheitslage erschweren die Meldung von Übergriffen und die Hilfe für Betroffene, oder machen sie gar unmöglich. Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen hindern die Überlebenden zudem daran, medizinische Notversorgung in Anspruch zu nehmen.

Vor dem Hintergrund der anhaltenden Gewalt im Sudan warnen das Gesundheitspersonal, Sozialarbeiter*innen und gemeindebasierte Schutznetzwerke vor einer deutlichen Zunahme von Berichten geschlechtsspezifischer Gewalt.

Frauen berichteten von Vorfällen geschlechtsspezifischer Gewalt auf der Flucht von Khartum in andere Gebiete. Auch Frauen, die in Nachbarländer geflohen sind, haben dem UNHCR und UN-Menschenrechtsteams von der schrecklichen Gewalt berichtet, die sie erlebt haben.

Das Risiko sexueller Gewalt ist besonders hoch, wenn Frauen und Mädchen aus ihrem Zuhause fliehen müssen, um Sicherheit zu suchen. Daher ist es dringend erforderlich, die Hilfe in den Aufnahmestellen für Binnenvertriebene in den vom Konflikt betroffenen Gebieten des Sudan und in den Nachbarländern zu verstärken.

UN-Organisationen unterstützen Frauen und Mädchen weiter

Trotz des anhaltenden Konflikts im Land arbeiten die UN-Organisationen daran, überlebende Frauen und Mädchen zu erreichen und durch wirksame Maßnahmen zu unterstützen. Dazu gehört die Einzelfallhilfe und eine schnelle medizinische Notfallversorgung, die Einrichtung von Schutzräumen für Frauen und Mädchen, die Verteilung von Hygieneartikeln sowie psychosoziale Unterstützung. UNICEF beschafft Hilfsgüter für Frauen und Mädchen, die Opfer sexueller Gewalt wurden, und unterstützt unter anderem Präventionsmaßnahmen und Unterstützungsangebote.

Für Überlebende sexueller Gewalt ist der rechtzeitige Zugang zu Gesundheitsdiensten lebensrettend. Im Sudan haben Aktivistinnen darauf hingewiesen, dass für die klinische Behandlung von Vergewaltigungen mehr Medikamente, medizinisches Material, und wichtige Hilfsgüter zur Verhinderung einer HIV-Übertragung benötigt werden. Diese Hilfsgüter müssen auch lokalen Kliniken, gemeindebasierten Organisationen und Ersthelfer*innen zur Verfügung gestellt werden, für Überlebende, die keinen Zugang zu Gesundheitseinrichtungen haben.

Um Frauen und Mädchen in großem Umfang zu helfen, sind dringend weitere Investitionen nötig. Die UN-Organisationen benötigen 63 Millionen US-Dollar, um 1,3 Millionen Menschen im Sudan mit wirksamen Maßnahmen für Überlebende geschlechtsspezifischer Gewalt zu erreichen. Weitere rund 63 Millionen US-Dollar werden benötigt, um Schutzprogramme für Menschen, die aus dem Sudan in die Nachbarländer geflohen sind, zu finanzieren.