Heute präsentierten UNICEF Österreich und die asylkoordination österreich diese Studie im Presseclub Concordia. Neben den der Zusammenfassung durch die drei Autorinnen Andrea Fritsche (UNICEF Österreich), Katharina Glawischnig (asylkoordination österreich) und Lisa Wolfsegger (asylkoordination österreich) kommentierten auch ExpertInnen aus der Praxis (Psychotherapie, Sozialberatung und Schule) das Studienergebnis. Kinderflüchtlinge und ihre Familien sind zwar mit den selben Herausforderungen wie andere Flüchtlinge konfrontiert: Armutsgefährdung, Exklusion, sozioökonomische und soziale Benachteiligung. Spezifisch für begleitete Kinderflüchtlinge und ihre Familien sind allerdings Probleme mit Bildung und Gesundheit so wie die sehr belastende Verantwortung, die Kinder in den Flüchtlingsfamilien übernehmen müssen (Stichwort: Parentifizierung). Das Kindeswohl steht bei Betreuung und Asylverfahren, trotz erkennbarer Bemühungen, nicht immer im Mittelpunkt. Insofern wurden klare Defizite in der Umsetzung der Kinderrechtskonvention sichtbar.
Anonym und ohne spezielle Bedürfnisse
Großteil der Kinderflüchtlinge kommt mit ihren Familien
Aufmerksamkeit bekamen bisher medial nur Einzelschicksale von Kinderflüchtlingen. Die präsentierte Studie stellt einen systematischen, analytisch fundierten Blick auf begleitete Kinderflüchtlinge und ihre Familien dar, der bisher zur Gänze gefehlt hat, obwohl die durch parlamentarische Anfragen vorliegenden Zahlen auf ihre Wichtigkeit hinweisen.
Mehr als 90 Prozent der Kinder und Jugendlichen und sogar mehr als 99 Prozent der unmündigen Minderjährigen, die 2018 einen Asylantrag in Österreich gestellt haben, sind im Familienverband immigriert. 2018 stellten insgesamt 6.390 Kinder einen Asylantrag in Österreich. Mehr als 90 Prozent davon, sprich 3.060 Buben und 2.945 Mädchen, reisten im Familienverband und damit begleitet nach Österreich ein. Mit Juni 2019 warteten 8.045 Kinderflüchtlinge und davon geschätzt rund 7.555 mit ihrer Familie auf die Entscheidung des Asylantrags. In den letzten drei Jahren haben fast 35.400 Minderjährige in Österreich um Schutz angesucht.
Untersucht wurde die Frage, inwieweit die Rechte von begleiteten Kinderflüchtlingen während der Dauer des Asylverfahrens in der Praxis tatsächlich respektiert und gewährleistet werden und welche Hilfs- und Unterstützungsstrukturen dabei eine Rolle spielen. Die Identifikation von Problembereichen und Herausforderungen sowie die Analyse der aktuellen Unterstützungspraxis liefern erstmals eine detaillierte Analyse der Lebenslage begleiteter Kinder und ihrer Familien. Aus dem so zu Tage tretenden Schwächen und Lücken, aber auch durch die Dokumentation von Best-Practice-Beispielen, lassen sich Forderungen für die Praxis ableiten.
Studienergebnisse & Handlungsaufforderungen
Unsicherheit und mangelnder Zugang zu Bildung
Begleitete Kinder können, im Unterschied zu unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen oder alleinstehenden Flüchtlingen, auf Eltern und Familienangehörige als Ressource und Stärke zurückgreifen. Die Daten zeigen aber auch, dass diese Kinder über eine hohe Adaptions- und Sprachlernkompetenz sowie Resilienz verfügen. Davon profitieren nicht nur sie selbst im Alltag, sondern im Idealfall hat dies positive Auswirkungen auf das ganze familiäre System.
Als Herausforderungen und Probleme werden inadäquate Wohnsituationen und materielle Einschränkungen sowie der unsichere Rechtsstatus als Verstärker psychischer Belastungen genannt. Der mangelnde Zugang zu Bildungseinrichtungen außerhalb der Schulpflicht erweist sich für begleitete Kinderflüchtlinge als besonderes Problem. Schulen und Kindergärten fehlt zudem systematisch abrufbares und individuell einsetzbares Wissen zu asylwerbenden Familien sowie Ressourcen, um diese zu unterstützen.
Unter Berücksichtigung der Befunde der Studie und der Analyse existenter Unterstützungsstrukturen lassen sich für die Praxis fünf zentralen Forderungen ableiten.
- Etablierung kinderspezifischer Räume und familienorientierte Schutzsysteme im Beratungskontext:
- Niederschwellig zugängliche und spezifisch qualifizierte Familienberatungsstellen
- Exklusive und vertrauliche Kinderräume
- Wissenssystematisierung und Mainstreaming von kinder- und fluchtspezifischem Wissen in den Beratungs- und Unterstützungsstrukturen
- Schaffung nachhaltiger Unterstützungsstruktur im Bildungsbereich
- Aufsuchende und präventiv orientierte, qualifizierte Sozialarbeit stärken
- Voraussetzungen für verstärkte Partizipationsmöglichkeiten schaffen
Und so bleibt zu guter Letzt der Wunsch, den die Familie Reza formuliert: „Wir wünschen uns hier akzeptiert zu werden. Als Österreicher? Nein. Wir wünschen uns akzeptiert zu werden als Menschen, die hier leben“
Studie: Methode und Fragestellung
UNICEF Österreich und die asylkoordination österreich haben die vorliegende Studie in Kooperation erstellt.
MMag. Corinna Geißler von UNICEF Österreich Advocacy erklärt: „Auch bei begleiteten Kinderflüchtlingen gilt es hinzuschauen, Kinderrechte einzuhalten und einzufordern. Es war uns besonders wichtig, die Stimmen der Kinder und ihrer Familien hörbar zu machen.“
Dr. Herbert Langthaler von der asylkoordination österreich ergänzt: „Die vorliegende Studie analysiert die spezifische Lebenslage begleiteter Kinderflüchtlinge – also Kinder, die mit ihren Familien nach Österreich geflüchtet sind – und deren Familien im offenen Asylverfahren und schließt damit eine Lücke.“
Um zu verstehen, inwieweit die Rechte begleiteter Kinderflüchtlinge während des Asylverfahrens in Österreich gewährleistet, geschützt und respektiert werden, wurden im Rahmen der Studie v.a. Fragen zum Alltag von Kinderflüchtlingen und ihren Familien und zur zielgruppenadäquaten Ausgestaltung der Unterstützungslandschaft gestellt. Fokussiert wurde dabei auf die wesentlichen Bereiche, die mit den Kinderrechten bzw. dem Kindeswohl in Verbindung stehen: Materielle Sicherheit, emotionale und psychische Stabilität, körperliche Unversehrtheit und Sicherheit, Entwicklung und Förderung sowie Partizipation und Anerkennung. Zusätzlich wurden Unterschiede in Bezug auf die Einbindung in Bildungsstrukturen und die Wohnform betrachtet und am Beispiel OÖ - Wien ein Stadt-Land-Vergleich vorgenommen.
Neben einer Auseinandersetzung mit der Rechtslage sind Gespräche mit 22 ExpertInnen durchgeführt worden (Bereiche Grundversorgung, Rechtsberatung, Psychotherapie, Kindermedizin, Kinder- und Jugendhilfe, Schulen, Zivilgesellschaft). Im Zentrum standen 1-2 stündige qualitative Interviews mit 30 Familien und 40 Kindern.
Für Redaktionen
Die gesamte Studie steht hier zum Download zur Verfügung:
DOWNLOAD: UNICEF Österreich & Asylkoordination Studie Executive Summary (PDF, deutsch, ca. 0,6 MB)