Die Kinder aus Grozny - Von UNICEF-Mitarbeiterin Anna Chernyakhovskaya aus Inguschetien

Die sechsjährige Leila ist eines der vielen Waisenkinder des Tschetschenien-Krieges im Nord-Kaukasus. Ihr Vater ist seit dem ersten Konflikt 1996 verschwunden und Leila kann sich kaum noch an ihn erinnern. Ein Scharfschütze tötete ihre Mutter 1999 in Grozny. Jetzt lebt Leila im Lager für Vertriebene Logovaz-Nazran in Inguschetien. Sie lebt dort mit Ihrer Tante und den beiden Cousinen in einem Zelt gemeinsam mit 12 anderen Menschen.

Leila ist ein sehr lebendiges kleines Mädchen. Sie beklagt sich nicht, daß sie keine Winterstiefel hat und in Halbschuhen in Matsch und Schnee herumläuft. Sie geht gerne zur UNICEF-Zeltschule, wo die Lehrerin Svetlana Tukaeva die Kinder so gut es geht unterrichtet. Den regulären Lehrplan einzuhalten ist unmöglich, da die Kinder lange Zeit überhaupt keinen Unterricht hatten.

Ihr Kollege Sharpudin Nakaev hat in Grozny 40 Jahre lang Geschichte unterrichtet. Seine Schule wurde bei Bombenangriffen zerstört, doch er gibt nicht auf. "Wir werden die Schule wieder aufbauen müssen", sagt der alte Lehrer. "Die Schule hier im Flüchtlingslager ist mehr als die normale Schule daheim. Es ist psychologisch sehr wichtig für die Kinder."

Die Schule gibt den Flüchtlingskindern das Gefühl, daß das Leben weitergeht. Im Logovaz-Nazran Camp leben 700 Kinder. 168 Kinder gehen zur Schule, die von UNICEF mit Material ausgestattet wurden. Der Unterricht findet in zwei Schichten statt, da es nicht genug Platz und nur fünf Lehrer gibt.

Khasbulat Khasimikov, ein siebenjähriger Bub, ist der einzige Sohn von Roza Khasimikova, einer alleinerziehenden Mutter aus Grozny. Er lernt gerne und benützt für seine Hausübungen eine Sessel als Tisch. Am liebsten rechnet er und Roza ist besonders stolz auf seine schöne Handschrift. Seit den Bombenangriffen auf Grozny schläft er schlecht, erzählt die Mutter.

Auch die zwölfjährige Milana, die seit September mit ihren acht Geschwistern und ihren Eltern in diesem Lager lebt, geht gerne in die UNICEF-Zeltschule. "Wir haben viel Spaß beim Unterricht", erzählt sie. "Sonst gibt es hier ja nicht viel zu tun."

Sportartikel sind ebenso wichtig wie Schulmaterial. Die Kinder im Lager waren glücklich über ein richtiges Volleyballnetz von UNICEF. Sie verbringen viel Zeit mit dem Spiel und träumen davon, bald einen richtigen Fußball zu bekommen.

Es ist nicht einfach für die Kinder in den Lagern, die Schrecken des Krieges ohne seelische Verletzungen zu überstehen. Auch wenn sie das Glück haben, daß ihre Eltern noch leben, mußten sie Bombenangriffe und Tod miterleben.

In einem der größten Flüchtlingslager in Inguschetien, in Sputnik, führt UNICEF gemeinsam mit lokalen Partnern ein psychosoziales Rehabilitationsprogramm durch. In Sputnik leben etwa 9.000 Menschen in Zelten, 6.000 davon sind Kinder. UNICEF stellte für das Programm Spielzeug und Sportgeräte zur Verfügung, Hygieneartikel und Zelte. Die Kinder kommen gerne in diese peziell ausgestatteten Zelte um zu spielen. Dort können sie vergessen, daß sie nur durch eine Zeltplane von der Realität des Lagerlebens getrennt sind.

Die Psychologin Lamara Umarova ist die Koordinatorin des gesamten Projekts und selber ein Flüchtling. "Wir verwenden hier die Methode der Kunsttherapie", erklärt sie. "Sehen Sie sich zum Beispiel diese Zeichnung an. Es erzählt wie sich die Menschen in Grozny vor möglichen Bombenangriffen versteckten. Nach drei Stunden wollten sie nicht mehr länger warten und rannten nach Hause. In diesem Moment begann der Angriff tatsächlich. Viele Menschen wurden getötet. Das Mädchen Patimat, das dieses Bild gezeichnet hat, erzählte mir die Geschichte. Sie weinte."

Lamara Umarova arbeitet schon länger mit Patimat, und langsam beginnt das Kind auch heitere Bilder zu malen und über andere Dinge zu sprechen.

Viele der Kinder leiden an Schlaf- und Eßstörungen. Die meisten verstecken sich, wenn sich Flugzeuge oder Helikopter nähern. Die Psychologen versuchen einen Ersatz für die schlechten Erfahrungen der Kinder zu finden. Wenn die Kinder nach ihren schlimmsten Erinnerungen gefragt werden, zeichnen sie Flugzeuge und Panzer. Wenn sie ihre Träume darstellen sollen, malen sie friedliche Landschaften und Blumen.

Askhob Cherkhigov, ein elfjähriges Flüchtlingskind aus Grozny, schreibt in einem Aufsatz: "Ich habe nie gedacht, daß der Krieg in meiner Heimat alles zerstören wird, die Tiere, meine Schule, mein Haus. Der Himmel ist für die Vögel da und nicht für Militärflugzeuge. Ich wünsche mir Frieden für meine Heimat. Hört mit dem Krieg auf!"