Die Klimakrise ist eine Kinderrechtekrise

Univ. Prof. Dr. Jesús Crespo Cuaresma ist Klimawandelexperte und Professor für Makroökonomie an der Wirtschaftsuniversität Wien. In diesem Interview erklärt er, wie sich die Klimakrise auf Kinder auswirkt und was die Staatengemeinschaft unternehmen muss, damit der Klimawandel verlangsamt wird.

© UNICEF/UNI567783/Khalil

Anmerkung: Um das Interview für möglichst viele Menschen zugänglich zu machen, werden einige Begriffe und Konzepte am Ende des Interviews erklärt. Die Begriffe sind mit in Klammern gesetzten Ziffern durchnummeriert.

Die am meisten vom Klimawandel Betroffenen, haben am wenigsten dazu beigetragen – wie sehen Sie das? Was sagen Sie dazu: Klimakrise = Kinderrechtkrise?

Die Herausforderungen, die der Klimawandel mit sich bringt, haben eine äußerst komplexe ethische Dimension. Heutige Generationen von Kindern tragen zum Beispiel eine erhöhte Krankheitslast durch den Klimawandel. Aus der Sicht der Kinder und künftiger Generationen müssen die Emissionen so schnell wie möglich erheblich reduziert werden, um künftige Klimaschäden zu minimieren. Doch wie soll man diesen Nutzen gegen die Kosten abwägen, die die heutige Generation zu tragen hätte? Für dieses moralische Dilemma gibt es keine Einheitslösung, da die optimale Politik von dem moralphilosophischen Rahmen abhängt, in den das Problem eingebettet ist. Aus einer utilitaristischen ethischen Perspektive (1) würde zum Beispiel die Verantwortung für vergangene Emissionen nicht explizit bewertet werden, abgesehen von den Auswirkungen, die diese Emissionen auf die derzeitigen Kapazitäten der Länder hatten. Andere moralphilosophische Perspektiven hingegen würden die Verantwortung direkt aus den vergangenen Emissionen ableiten. Jüngste Studien zeigen, dass selbst bei Zugrundelegung eines utilitaristischen Maßstabs die optimale Emissionsreduzierung eine viel schnellere Dekarbonisierung (2) in den reichen Volkswirtschaften impliziert als die, die wir gegenwärtig beobachten.

Sauberes und zugängliches Trinkwasser ist bereits jetzt in einigen Teilen der Welt nicht vorhanden. Wie sehen Sie die aktuelle Lage der Trinkwasserversorgung und womit rechnen Sie in Zukunft?

Einige Kollegen des International Institute for Applied Systems Analysis (IIASA) (3) haben die Auswirkungen des Klimawandels auf die gegenwärtigen und zukünftigen Trends der Wasserknappheit weltweit untersucht. Die Ergebnisse ihrer Forschung können im Water Scarcity Atlas (4) und in der Water Scarcity Clock (4) visualisiert werden. Trotz großer Unsicherheiten hinsichtlich des künftigen Wasserbedarfs sagen die vorhandenen Modelle für die kommenden Jahrzehnte eine Zunahme der unter Wasserstress (5) leidenden Weltbevölkerung voraus. Die sozioökonomischen Folgen einer solchen Entwicklung werden stark davon abhängen, ob die Anpassungsmaßnahmen erfolgreich sind, was wiederum erhebliche Investitionen in die Infrastruktur, verstärkte lokale Kapazitäten und eine verbesserte Wasserbewirtschaftung erfordert.

Was sind die größten Auswirkungen direkt/ indirekt des Klimawandels in Europa/ Österreich?

Die Folgen des Klimawandels in der entwickelten Welt und insbesondere in Österreich sind vielfältig. Diese reichen von einem Anstieg der hitzebedingten Sterblichkeit und Morbidität im Sommer bis hin zu Herausforderungen im Zusammenhang mit sektoralen Veränderungen (6) aufgrund der Schwierigkeiten, mit denen der Wintertourismus in den kommenden Jahrzehnten konfrontiert sein wird. Diese Kosten sind je nach sozioökonomischem Status ungleich auf die BürgerInnen verteilt. Menschen mit niedrigem Einkommen sind potenziell stärker den Auswirkungen des Klimawandels ausgesetzt und haben weniger Möglichkeiten, sich an diese anzupassen. Dies könnte in Zukunft zu sozialen Spannungen führen, die das politische System unter Druck setzen.

Was wird es brauchen, um Europa fit für diese Folgen zu machen?

Aufgrund der globalen Koordinierungsprobleme, die mit der Gestaltung einer wirksamen Politik zur weltweiten Verringerung der Treibhausgasemissionen verbunden sind, gibt es keine einfache Möglichkeit, den nationalen Regierungen Ratschläge zu erteilen, von denen realistischerweise erwartet werden kann, dass sie zu nachhaltiger, erfolgreicher Mitigation (7) führen. Aus der wissenschaftlichen Literatur wissen wir, dass CO2-Bepreisungssysteme (8) und CO2-Steuern (8) die effizientesten Instrumente sind, die den Regierungen zur Verfügung stehen, so dass jede Empfehlung, die auf eine effiziente Reduzierung des CO2-Ausstoßes abzielt, diese einschließen muss. Gleichzeitig kann die Klimapolitik nur dann erfolgreich (im Sinne ihrer Akzeptanz) sein, wenn sie diejenigen entschädigt, die die Kosten tragen müssen. Ein solches Szenario ist nur in einem Umfeld denkbar, in dem die öffentlichen Mittel zur Verfügung stehen (im Idealfall aus den Einnahmen aus CO2-Steuern) und das Wirtschaftswachstum steigt. Der verbreitete Mythos, dass die Bekämpfung des Klimawandels im Widerspruch zum Wirtschaftswachstum steht, lässt sich aus den Daten vieler Industrieländer der letzten Jahrzehnte nicht ablesen: In fortgeschrittenen (wachsenden) Volkswirtschaften war eine absolute Entkopplung (9) von Treibhausgasemissionen und dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) (10) eher die Norm als die Ausnahme.

Was möchten Sie gerne jungen Menschen mitgeben, was Sie selbst tun können, wenn es um ihre Zukunft im Angesicht des Klimawandels geht?

In meiner Rolle als Universitätsprofessor liegt es an mir, den jüngeren Generationen das nötige Wissen und die Analyseinstrumente zu vermitteln, um ihre Fähigkeiten im kritischen Denken zu entwickeln. Besonders im Kontext der Klimapolitik ist die Fähigkeit zur kritischen Bewertung von Aussagen und Vorschlägen – unter Anwendung der wissenschaftlichen Methode – von entscheidender Bedeutung für den Aufbau einer besseren Zukunft. Darüber hinaus ist kritisches Denken ein wirksames Mittel gegen Populismus (11) und Ideologie, welche gegenwärtig die größten Hindernisse für die Umsetzung von effizienten und evidenzbasierten Maßnahmen (12) zur Bekämpfung des Klimawandels darstellen.

Begriffserklärungen:

1. Utilitaristische ethische Perspektive: Eine Denkweise in der Ethik, die besagt, dass die beste Handlung diejenige ist, die das größte Glück für die größte Anzahl von Menschen bringt.

2. Dekarbonisierung: Der Prozess, bei dem die Menge an Kohlendioxid (CO2), die durch menschliche Aktivitäten in die Atmosphäre freigesetzt wird, reduziert wird, um den Klimawandel zu bekämpfen.

3. International Institute for Applied Systems Analysis (IIASA): Ein Forschungsinstitut, das weltweit arbeitet, um Lösungen für globale Probleme wie den Klimawandel zu finden.

4. Water Scarcity Atlas und Water Scarcity Clock: Online-Tools, die zeigen, wo auf der Welt Menschen Schwierigkeiten haben, genug sauberes Wasser zu bekommen.

5. Wasserstress: Wenn die Nachfrage nach Wasser in einer Region höher ist als das verfügbare Angebot, was oft zu Wassermangel führt.

6. Sektorale Veränderungen: Veränderungen in bestimmten Bereichen der Wirtschaft oder Gesellschaft, wie z.B. im Tourismus oder in der Landwirtschaft, die durch den Klimawandel verursacht werden.

7. Mitigation: Maßnahmen, die ergriffen werden, um die Auswirkungen des Klimawandels zu verringern, wie z.B. das Reduzieren von Treibhausgasemissionen.

8. CO2-Bepreisungssysteme und CO2-Steuern: Wirtschaftliche Instrumente, die darauf abzielen, die Kosten für die Freisetzung von CO2 in die Atmosphäre zu erhöhen, um Menschen und Unternehmen dazu zu bringen, weniger CO2 zu produzieren.

9. Absolute Entkopplung: Wenn eine Wirtschaft wachsen kann, ohne dass gleichzeitig die Emissionen von Treibhausgasen steigen.

10. Bruttoinlandsprodukt (BIP): Der Gesamtwert aller Waren und Dienstleistungen, die in einem Land in einem Jahr produziert werden. Es ist ein Maß für die wirtschaftliche Leistung eines Landes.

11. Populismus: Eine politische Haltung oder Bewegung, die behauptet, die Interessen der "einfachen Leute" gegen die "Elite" zu vertreten. Populistische Bewegungen können manchmal wissenschaftliche Fakten ablehnen oder ignorieren.

12. Evidenzbasierte Maßnahmen: Maßnahmen und Entscheidungen, die auf wissenschaftlichen Beweisen und Daten basieren, anstatt auf Meinungen oder Vermutungen.

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