Fast eine halbe Million Kinder in Europa und Zentralasien leben in Heimen

Genf/Wien - Der neue UNICEF-Bericht zeigt, dass die Zahl der in Heimen lebenden Kinder in der Region doppelt so hoch ist wie im weltweiten Durchschnitt.

Eine ukrainische Familie umarmt sich, die beiden Kinder wurden adoptiert.
© UNICEF/UNI408635/Bonda

Es liegt noch ein langer Weg vor Europa und Zentralasien, um das lange und schmerzhafte Erbe der Heimunterbringung von Kindern zu beenden.

Fast eine halbe Million Kinder – oder 456.000 – in ganz Europa und Zentralasien leben in Betreuungseinrichtungen, darunter auch Großeinrichtungen, so ein neuer Bericht, der heute von UNICEF veröffentlicht wurde.

Pathways to Better Protection: taking stock of the situation of children in alternative care in Europe and Central Asia" stellt fest, dass die Zahl der Kinder, die in Europa und Zentralasien in Heimen leben, doppelt so hoch ist wie der weltweite Durchschnitt: 232 von 100.000 Kindern leben in Heimen, verglichen mit 105 von 100.000 weltweit.

Wir haben noch einen langen Weg vor uns, um das lange und schmerzhafte Erbe der Heimunterbringung von Kindern in Europa und Zentralasien zu beenden. Es hat zwar einige Verbesserungen gegeben, aber die Fortschritte sind bei weitem nicht gleich. Kinder mit Behinderungen wurden weitgehend zurückgelassen", sagte Regina De Dominicis, UNICEF-Regionaldirektorin für Europa und Zentralasien.

Westeuropa hat mit 294 Kindern pro 100.000 Kindern die höchste Rate von Kindern in Heimen – fast das Dreifache des weltweiten Durchschnitts. Zwar sind die Einrichtungen in Westeuropa in der Regel klein und in die Gemeinden integriert, doch wird nach wie vor zu viel auf Heimunterbringung statt auf familiäre Betreuung gesetzt. Die höhere Rate ist zum Teil auf die Zunahme unbegleiteter und von ihren Eltern getrennter Kinder und Jugendlicher zurückzuführen, die in den letzten Jahren in Europa Asyl suchen.

Der Bericht zeigt auch einige positive Trends auf. So ist zum Beispiel seit 2010 in vielen Ländern der Anteil der Kinder, die in Heimen leben, zurückgegangen. In Bulgarien, Moldawien und Georgien deuten die Daten darauf hin, dass die familiäre Betreuung zur vorherrschenden Form der formellen alternativen Betreuungsregelung geworden ist, da die Regierungen eine Deinstitutionalisierungspolitik verfolgten und erhebliche Investitionen in die familiäre Betreuung tätigten. In der Türkei und in Rumänien trugen Investitionen in die Prävention, die Unterstützung von Familien und die Förderung von Pflegefamilien dazu bei, dass die Zahl der Kinder in bestimmten Arten von Betreuungseinrichtungen, wie z. B. Kinderheimen, zurückging.

Für Kinder mit Behinderungen, die weitaus häufiger in Heimen untergebracht werden als Kinder ohne Behinderungen, wurden jedoch kaum Fortschritte erzielt. In den Ländern, für die Daten vorliegen, machen Kinder mit Behinderungen zwischen vier Prozent und bis zu 87 Prozent der Kinder in Heimen aus. In mehr als der Hälfte der Länder, für die Daten vorliegen, ist der Anteil von Kindern mit Behinderungen in allen Arten der formellen Heimunterbringung zwischen 2015 und 2021 gestiegen.

Die negativen Auswirkungen von Familientrennung und Heimunterbringung auf die Gesundheit, die Entwicklung und das Wohlbefinden von Kindern sind gut dokumentiert. Kinder, die in Großeinrichtungen leben, sind häufig emotionaler Vernachlässigung und höheren Raten von Missbrauch und Ausbeutung ausgesetzt, was sie psychischen Problemen, psychologischer Belastung und Traumata aussetzt.

Kinder, die in Heimen untergebracht sind, können während ihrer gesamten Kindheit und im Erwachsenenalter Schwierigkeiten haben, positive Beziehungen aufzubauen, was dazu führt, dass sie sich isoliert und einsam fühlen. Kinder, die in Heimen untergebracht sind - vor allem in jungen Jahren - können kognitive, sprachliche und andere Entwicklungsverzögerungen aufweisen und geraten eher mit dem Gesetz in Konflikt, was den Kreislauf der Heimunterbringung fortsetzt.

Im Einklang mit dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes, dem Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen und den UN-Leitlinien für alternative Betreuung fordert UNICEF die systematische Schließung von Großeinrichtungen, in denen Kinder untergebracht und erzogen werden. Dazu gehört auch, dass Heimeinrichtungen, in denen Kinder mit Behinderungen oder unbegleitete und von ihren Eltern getrennte Kinder untergebracht sind, durch qualitativ hochwertige familien- und gemeindenahe Betreuung ersetzt werden.

UNICEF fordert angemessene Investitionen zur Unterstützung der Früherkennung und des frühzeitigen Eingreifens bei gefährdeten Kindern, ein starkes Personal im Sozialbereich, familienunterstützende Dienste zur Vermeidung unnötiger Familientrennungen und eine qualitativ hochwertige Pflegeunterbringung für schutzbedürftige Kinder. Die Umverteilung von Ressourcen von der institutionellen Betreuung hin zur familiären und gemeindenahen Betreuung und die Sicherstellung von Investitionen in Qualitätsdaten sind entscheidend.

UNICEF arbeitet mit Regierungen und Partnern in der gesamten Region zusammen, um Familien zusammenzuhalten und familien- und gemeindenahe Betreuung zu unterstützen. Dazu gehören die Entwicklung und Umsetzung von Deinstitutionalisierungsstrategien und -programmen, die Ausweitung von Schutz- und Familienunterstützungsdiensten, um zu verhindern, dass Kinder von ihren Familien getrennt werden, die Förderung von familien- und gemeinschaftsbasierter Betreuung und Familienzusammenführung sowie die Wiedereingliederung und der sichere Übergang in ein unabhängiges Leben. UNICEF arbeitet auch mit Regierungen und nationalen Statistikämtern zusammen, um die Verfügbarkeit, Vergleichbarkeit und Qualität von Daten über Kinder in alternativer Betreuung zu verbessern.

Hinweise für Redaktionen:

Der Bericht führt Daten zusammen, die vom TransMonEE-Netzwerk, der DataCare-Initiative und anderen Quellen aus der gesamten Region gesammelt wurden. Er enthält eine Analyse der Daten über Kinder in alternativer Betreuung und Adoption sowie der Entwicklungen und Herausforderungen bei der Erhebung und Meldung vergleichbarer und disaggregierter Qualitätsdaten.

Die Arbeit von UNICEF zur Verbesserung der Verfügbarkeit, Qualität und Vergleichbarkeit von Daten über Kinder in alternativer Betreuung umfasst die DataCare-Initiative zusammen mit Eurochild und die Partnerschaft mit einem Netzwerk von 30 nationalen Statistikämtern in der Region zur Verbesserung der Daten im Rahmen der TransMonEE-Initiative. UNICEF befürwortete und unterstützte auch die Entwicklung des Leitfadens der Konferenz Europäischer Statistiker:innen zu Statistiken über Kinder und arbeitet mit Partnern der Europäischen Union zusammen, um die Situation von Kindern in alternativer Betreuung zu überwachen und zu vergleichen.