Gerichtsverfahren gegen Minderjährige, die des Völkermordes angeklagt sind

Ruanda Juni 1994: Der organisierte Genozid wird durch die Niederlage der von Hutus dominierten ehemaligen Regierungstruppen Ruandas gegen die Rebellen der von Tutsis dominierten "Rwandan Patriotic Front" beendet. Zwischen 500.000 uns 1.000.000 Menschen wurden grausam ermordet - weil sie der ethnischen Gruppe der Tutsis angehörten, weil sie sich gegen die rassistische Ideologie aussprachen.

Ruanda Juni 1997: Nach Angaben der Regierung und des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte befinden sich im Moment etwa 110.000 Menschen in 18 Zentralstrafanstalten und über 200 Lokal- und Polizeigefängnissen. Der Großteil dieser Menschen ist angeklagt, am Völkermord teilgenommen zu haben.

Unter den Inhaftierten befinden sich etwa 3.500 Frauen mit über 600 Kleinkindern, 2.400 Kinder und Jugendliche, die zur Tatzeit zwischen 14 und 18 Jahren alt waren (Strafmündigkeit beginnt in Ruanda mit 14 Jahren), sowie ungefähr 150 Kinder, die zum Zeitpunkt des angeblichen Verbrechens jünger als 14 Jahre alt, also noch nicht strafmündig waren. Diese Zahlen sind Schätzungen, da oft kein Unterschied zwischen dem momentanen Alter und dem Alter zum Zeitpunkt des mutmaßlichen Verbrechens gemacht wird.

Die Zustände und Bedingungen in den Gefängnissen sind Großteils untragbar, vor allem in den kleinen Lokal- und Polizeigefängnissen, wo sich über ein Drittel aller Gefangenen befinden.

Das Justizministerium wurde auf den Resten eines Gerichtswesens wiederaufgebaut, das für ein paar hundert Fälle im Jahr gedacht war, und ist jetzt maßlos überfordert. Nach Angaben der Regierung gibt es für mehr als die Hälfte der Gefangenen in den Zentralstrafanstalten keine Haftbefehle und keine Akten, in den Polizeigefängnissen ist die Zahl noch höher.

Das größte Hindernis ist der Mangel an qualifizierten Juristen. Bis vor kurzem gab es nur 160 Polizeijuristen für die Befragungen , jetzt erhöhte sich die Anzahl auf 300. UNICEF finanzierte die Ausbildung von 40 Polizeijuristen, die ausschließlich die Fälle der inhaftierten Kinder bearbeiten werden. Ende Juli beendeten 86 Richter und 24 Staatsanwälte ein spezielles Seminar, das von UNICEF finanziert wurde.

Als Ende 1994 die grauenhafte Situation von Kindern und Minderjährigen in den Gefängnissen bekannt wurde, war das erste Anliegen von UNICEF, ihre Grundbedürfnisse mit Lebensmitteln, Medikamenten und Kleidung zu befriedigen. Der nächste Schritt war die Forderung nach der Trennung von Kindern und Minderjährigen von den Erwachsenen in den Strafanstalten. Ohne diese Trennung ist Schutz gegen Mißbrauch, vor allem sexuellen Mißbrauch, und Schutz gegen Beeinflussung von Seiten der Erwachsenen nicht möglich. Die Kinder brauchen Schulunterricht, genügend Platz, um sich zu bewegen, und sanitäre Einrichtungen. UNICEF beschloß, die notwendigen Bauarbeiten zu finanzieren und zu unterstützen, da dies der einzige Weg war, für den Schutz der Kinder zu sorgen.

Die Bauarbeiten sind nun größtenteils beendet. In fünf Zentralstrafanstalten wurden bereits die neuen Trakte für Minderjährige eröffnet. Der größte Trakt ist in Kigali, mit Platz für 750 Kinder, in den anderen können zwischen 100 und 250 Minderjährige untergebracht werden. Die ungefähr 100 inhaftierten Mädchen sollen in eine spezielle Frauenhaftanstalt gebracht werden, die von UNICEF saniert wurde. Auch schwangere Frauen und Mütter mit kleinen Kindern sollen hierher verlegt werden. Einige der Anlagen wurden von Save the Children USA - UNICEF´s wichtigstem Partner für die Sozialarbeit in den Gefängnissen Ruandas - mit Spielplätzen ausgestattet.

Für strafunmündige Kinder wurde mit Mitteln von UNICEF in Gitagata ein Zentrum gemeinsam mit dem Sozialministerium saniert.

Im Moment ist es besonders wichtig, daß alle betroffenen Kinder und Jugendliche entweder sofort freigelassen oder von den überfüllten Gefängnissen in die neuen Einrichtungen überstellt werden. Außerdem müssen die Verfahren gegen die Kinder beschleunigt werden. Die Behörden in Ruanda haben sich dazu verpflichtet, Kindern, die zum Zeitpunkt des mutmaßlichen Verbrechens noch strafunmündig waren, besondere Priorität einzuräumen. Diese Kinder wurden in das Zentrum in Gitagata verlegt, wo im Moment 217 Buben leben.

Ebenfalls Priorität haben auch die Fälle der Kinder und Jugendlichen, die zum Zeitpunkt des angeblichen Verbrechens zwischen 14 und 18 Jahren alt waren, und die der Plünderung, des Diebstahls und des Drogenmißbrauchs angeklagt sind. Die Zahl solcher Fälle wird auf mehrere Hundert geschätzt, die meisten dieser Jugendlichen könnten wahrscheinlich ohne Verhandlung freigelassen werden.

Das Grundgesetz für Fälle von Völkermord sieht nun auf Veranlassung von UNICEF spezielle Gerichtshöfe für Minderjährige vor. Die Urteile für Völkermord entsprechen den Urteilen im Strafgesetz für ähnliche Verbrechen. Das Strafausmaß wird für jene reduziert, die nicht als Organisatoren oder Massenmörder gelten. Auch bei einem Geständnis ist eine Verringerung der Strafe möglich. Darüber hinaus akzeptiert das Strafgesetz Minderjährigkeit als mildernden Umstand. Gefängnisstrafen können für Minderjährige maximal um die Hälfte reduziert werden, die Todesstrafe und lebenslange Gefängnisstrafen können durch 10 bis 20 Jahre Haft ersetzt werden. Alle Häftlinge können im Prinzip entlassen werden, nachdem sie ein Viertel ihrer Strafe verbüßt haben.

Eine weitere wichtige Aufgabe für die Regierung Ruandas ist es, für eine angemessene psycho-soziale Betreuung und für Ausbildung, die auf Reintegration abzielt, zu sorgen. In Übereinstimmung mit der Regierung und mit finanziellen Mitteln von UNICEF wird Save the Children USA seine bestehenden Programme für Mütter, Kinder und Jugendliche weiter ausdehnen. Kleinkinder dürfen nur bis zu ihrem dritten Geburtstag bei ihren Müttern im Gefängnis bleiben - danach muß für sie ein Platz innerhalb der Familie oder ein Pflegeplatz gefunden werden. Da die minderjährigen Gefangenen nun separat untergebracht sind, ist eine intensivere Betreuung möglich. Es gibt nun Platz für Sport, Schulunterricht, Berufsausbildung und landwirtschaftliche Tätigkeit.

Die strafunmündigen Kinder in Gitagata werden von Sozialarbeitern des Sozialministeriums und der lokalen NGO ASOFERWA betreut, mit technischer Unterstützung von Save the Children UK und mit finanziellen Mitteln von UNICEF. Die Grundschule in Gitagata wurde für 600 Kinder saniert, und wird nun vor allem von Kindern aus den umliegenden Gemeinden besucht - eine wichtige Hilfe bei der Reintegration der ehemaligen Häftlinge. Auch Sport spielt eine wichtige Rolle bei der Wiedereingliederung dieser Kinder in die Gesellschaft - zum Beispiel bei einem Fußballturnier mit den lokalen Teams. In der Zwischenzeit wird nach den Eltern oder Angehörigen der Kinder geforscht. Viele der Familien kehren gerade erst aus Flüchtlingslagern außerhalb des Landes zurück.

Für die erfolgreiche Wiedereingliederung all dieser Kinder und Jugendlichen bleibt noch vieles zu tun. Die notwendigen Maßnahmen sind wegen der unzureichenden Infrastruktur auf allen Ebenen schwierig zu treffen. Oft müssen erst Strukturen geschaffen und Personal ausgebildet werden, wenn eine sofortige Problemlösung dringend notwendig wäre. Die Bewältigung solcher Situationen ist nicht immer befriedigend, doch meist gibt es keine Alternative.

Die Probleme dieser Kinder müssen in Zusammenhang mit den vielen Kindern gesehen werden, die Opfer des Krieges und des Völkermordes wurden, und heute in extrem schwierigen Umständen leben. Die Unterstützung des Justizsystem hat auch eine wichtige Funktion im Kontext der Versöhnung der beiden ethnischen Gruppen. Für eine friedliche Zukunft in Ruanda ist es lebenswichtig, daß die Bemühungen, das Erbe des Völkermordes mit gesetzlichen Mitteln zu bewältigen, erfolgreich sind.