Die Männer feilschen im Bazar von Quetta, der Hauptstadt der westlichen Provinz Baluchistan in Pakistan. Ihre Turbane und Kappen zeigen an, zu welchem Baluch- oder Bathan-Stamm sie gehören, ihre Bärte symbolisieren Männlichkeit. Einige wenige Frauen huschen in ihren zeltähnlichen Gewändern (Burqas) an den Dattelständen und Bäckereien vorbei.
Baluchistan wird als die konservativste der vier Provinzen von Pakistan angesehen. Stammeslehen bestimmen noch immer das Leben der Menschen in den Wüsten und Bergen des Landes, aber auch in den Strassen von Quetta.
Nirgendwo kommt der tribale Kodex so deutlich zum Ausdruck wie in der Behandlung und der Einstellung gegenüber den Frauen. Eine Frau, die unter Verdacht steht, eine außereheliche sexuelle Beziehung zu unterhalten, wird zum Tode verurteilt. Darum ist der merkliche Fortschritt in Bezug auf die Schulbildung von Frauen in dieser Provinz eine wirkliche Überraschung.
Weniger als 5% der Frauen in Baluchistan können lesen und schreiben, verglichen mit 21% der Frauen in ganz Pakistan. Die Einschulungsrate für Buben beträgt 71%, während die Rate für Mädchen auf 27% absinkt.
Trotzdem scheint es, als ob sich die Einstellung gegenüber dem Schulbesuch von Mädchen ändert. Eine Umfrage, die 1990 in 9.000 Dörfern von der U.S. Agency for International Development (USAID) für das Unterrichtsministerium durchgeführt wurde, ergab, daß die Mehrheit der Eltern in über der Hälfte der Dörfer eine Grundschulausbildung für ihre Töchter befürworten: in 31% der Dörfer haben sich alle Eltern für einen Schulbesuch ihrer Töchter ausgesprochen.
"Es scheint, als ob sich viele Mythen in Bezug auf die Grundschulausbildung verbreitet haben", sagt Denise Conway, eine Mitarbeiterin des Schulprogrammes von UNICEF in Quetta. "Der Mißerfolg von Ausbildungsprojekten wird oft der konservativen Einstellung der Menschen zugeschrieben."
Das größte Hindernis in Bezug auf die Ausbildung von Mädchen ist der Mangel an Mädchenschulen und weiblichen Lehrkräften. Von den 7.800 Grundschulen der Provinz sind weniger als 10% reine Mädchenschulen, und nur 15% der Lehrer sind Frauen. Eltern hüten sich davor, ihre Töchter in Schulen mit Koedukation oder männlichen Lehrern zu schicken, in einer Gesellschaft, die noch an Vorstellungen haftet, die besagen, daß Frauen von Männern abgesondert werden sollen.
Um sich diesen Problemen zu widmen, richtete das "Primary Education Directorate" mit Hilfe von UNICEF und USAID ein spezielles Ausbildungsprogramm für Lehrer ein. Seit 1990 haben die "Mobile Female Teachers Training Units with Community Support" 150 Schulen erreicht.
Das Programm ist sehr einfach. Ein weiblicher Ausbildner leitet einen dreimonatigen Kurs für Lehrer, an dem Frauen mit mindestens zehn Jahren Schulausbildung teilnehmen. Diese Kurse werden in kleinen Städten nahe der Wohnungen der zukünftigen Lehrerinnen abgehalten, um den Anreiseweg der Frauen zu verkürzen, und ihnen Nächte außer Haus zu ersparen. Nach Abschluß des Kurses können die Frauen in ihren Dörfern Schulen eröffnen.a
Im College für Lehrer in Pishin, nördlich von Quetta, machen sich zehn Frauen im Alter von 18 bis 50 Notizen zum Vortrag des Lehrers über das Thema, wie man mit Schülern aus verschiedenen Schulstufen in einem gemeinsamen Klassenraum umgeht.
"Die Familien wollen jetzt, daß ihre Töchter die Welt verstehen", sagt die Lehrerin Najma Prabaz, die wegen Kinderlähmung an den Rollstuhl gefesselt ist, um das neue Interesse der Eltern an der Schulbildung von Mädchen zu erklären. "Viele unserer Frauen wissen nicht einmal, wie sie mit 50 Rupien umgehen sollen!"
Najma, die unlängst die zwölfte Schulstufe beendet hat, hatte das Glück, daß ihr Vater, das Oberhaupt des Dorfes, wollte, daß seine Tochter eine Ausbildung erhält, und sie zu einem Onkel schickte, der in einer Stadt mit einer Schule lebt. Najma freut sich nun darauf die erste Mädchenschule in ihrem Dorf eröffnen zu können.
Aber wie verhalten sich die religiösen Führer, die traditionell skeptisch gegenüber der Schulbildung von Mädchen eingestellt waren, in Bezug auf diesen Trend? "Die Mullahs verbieten jetzt den Schulbesuch für Mädchen nicht mehr", sagt Zarmina Khanum, und rückt den Schleier auf ihrem ergrauten Haar zurecht. "Aber auch wenn sie es tun, spielt es keine Rolle. Die Einstellung der Menschen in Bezug auf Schulbildung hat sich in den letzten zehn Jahren langsam geändert.." Bevor Zarmina an dem Kurs in Pishin teilnahm, hatte sie keinerlei Ausbildung zur Lehrerin genossen. Trotzdem half sie, die selbst Mutter von neun Kindern ist, dem Lehrer in ihrem Dorf mit den 90 Kindern fertig zu werden, die in den zwei Klassenräumen der staatlichen Schule unterrichtet wurden.
Wirtschaftliche Faktoren erhöhten ebenfalls den Wert einer Schulbildung für Frauen in Pakistan. Besonders bedeutsam war die enorme Auswanderung von Arbeitern in die Golf-Staaten, die ihren Höhepunkt in den frühen Achziger Jahren erreichte. Da die Männer ihre Heimat für eine lange Zeit verließen, mußten die Frauen plötzlich allein für ihre Familien sorgen, und mit Geld, Aufträgen und Briefen umgehen.
Ein anderer Grund waren die steigenden Kosten für den Lebensunterhalt. Die finanzielle Not brachte viele Frauen in Pakistan dazu, die Purdah (Absonderung der Frauen von den Männern) aufzugeben und Arbeit anzunehmen. "Letztendlich erkannten die Menschen, was es bedeutet, lesen und schreiben zu können", sagt Anita Ghulam Ali, Direktorin der "Education Foundation of the Provincial Government of Sindh".
Die Regierung von Pakistan hat große Schwierigkeiten genug Schulen und Lehrer zur Verfügung zu stellen, um den enormen Bedarf nach Schulbildung für Mädchen abzudecken. In der Folge verbreiteten sich Schulen, die von NGOs oder privaten Unternehmern geleitet wurden, sehr rasch. In Karachi werden ein Drittel aller Schulen von Privatleuten geführt, sagt Anita Ghulam Ali, deren Organisation Hilfsfonds der Weltbank für private Initiativen im Grundschulsystem leitet.
Ausländische Spender wie UNICEF und die Weltbank glauben seit langem, daß mehr Geld für Grundschulausbildung ausgegeben werden sollte. Diese Organisationen befürworteten, daß Gelder aus Fonds für Universitäten für die Grundschulen verwendet werden da nur 37% der Kinder in Pakistan die vier Jahre Grundschulausbildung beenden. Diese Zahl ist vergleichbar mit den Zahlen aus den noch ärmeren Nachbarländern Indien und Bangladesh, und liegt weit unter dem Weltdurchschnitt von 68%.
UNICEF glaubt, daß eine Grundschulausbildung die Grundlage für jede weitere Entwicklung darstellt. Larry Summers, ehemaliger Mitarbeiter der Weltbank, erklärt an Hand von Pakistan, daß eine Investition von US%40.000, um damit 1.000 Mädchen auszubilden, US%100.000 einsparen würde, da durch die Schulbildung von Mädchen die Säuglingssterblichkeit, die Fruchtbarkeitsrate und die Müttersterblichkeitsrate gesenkt wird. "Die Schulbildung für Mädchen ist weitaus einträglicher als jede andere Investition in den Entwicklungsländern", schrieb Summers.
Die Regierung von Pakistan scheint nun aufzuhorchen und schaffte unlängst das "Social Action Programme", mit dem Ziel, die Leistungen in den Bereichen Grundschulausbildung, Gesundheitswesen und Familienplanung zu verbessern. Die Regierung hat ein Budget von US$6 Billionen für die nächsten fünf Jahre vorgesehen, und es ist geplant, dieses Budget hauptsächlich durch Rückverteilungsfonds aus anderen Bereichen zu finanzieren, und nicht durch Staatsausgaben. Es ist vorgesehen, daß ausländische Spender US$2 Billionen hinzufügen sollen.
Aber Geld allein ist nicht genug. Um das Grundschulsystem weiter in Gang zu halten, ist die Beteiligung der Gemeinden notwendig, darum legt das "Primary Education Directorate" in Baluchistan soviel Wert auf die Einrichtung von "Community Education Commitees" in den Dörfern, bevor dort Schulen eröffnet werden.
Das Komitee, das aus gewählten Eltern besteht, sucht den Leiter für den dreimonatigen Kurs aus, und leitet auch die Schule. Die Schule wird erst nach einer genauen Überwachung der Lehrer und Schüler, der Unterstützung von Seiten der Eltern, und der Qualität der Einrichtungen der Schule offiziell anerkannt.
Das ist ein langwieriger Prozeß, der nur dann zum Erfolg führen wird, wenn die Gemeinde voll und ganz hinter der Schule steht, sagt Ijaz Malik, der Vorstand des Primary Education Directorate in Quetta.