Klimakrise: Kinder & Jugendliche in Österreich klagen für ihre Zukunft – ein Interview
Interview, 21.06.2023, Wien - Zwölf Kinder & Jugendliche sehen ihre Zukunft durch fehlende Maßnahmen der Bundesregierung zum Klimaschutz gefährdet. Sie haben sich entschieden, das Klimaschutzgesetz beim Verfassungsgerichtshof zu bekämpfen. UNICEF Österreich hört jungen Menschen zu und möchte ihrer Meinung eine Plattform bieten. Corinna Geißler und Jakob Bouchal haben mit Franzi und Smilla über ihre Entscheidung gesprochen, vor Gericht zu ziehen.
An einem Nachmittag im Juni kommen Franzi (17) und Smilla (15) ins UNICEF Österreich-Büro, draußen hat es 32° im Schatten. Gemeinsam mit zehn anderen Kindern und Jugendlichen fordern die beiden derzeit vor dem Verfassungsgerichtshof (VfGH) eine lebenswerte Zukunft ein.
Die Kinder und Jugendlichen berufen sich dabei auf das Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern. Dieses Gesetz sieht in Artikel 1 einen Anspruch jedes Kindes auf den Schutz und die Fürsorge vor, die für das eigene Wohlergehen notwendig sind. Außerdem legt das Gesetz in Artikel 4 fest, dass Kinder das Recht auf angemessene Beteiligung und Berücksichtigung ihrer Meinung haben, und zwar in allen Angelegenheiten, die sie betreffen.
Gemeinsam mit Umweltorganisationen, Prominenten und Wissenschafter:innen bemängeln sie, dass das österreichische Klimaschutzgesetz in der aktuellen Fassung nicht zu dem Rückgang von Treibhausgasemissionen führt, der notwendig wäre, um die Erderwärmung bei 1,5°C zu stoppen. Smilla und Franzi sehen ihre Zukunft gefährdet und haben sich daher entschieden, das Klimaschutzgesetzes vor dem VfGH zu bekämpfen.
„Die Klimakrise schreitet voran – und es wird zu wenig dagegen getan“
„Wir haben gesehen, dass die Klimakrise immer weiter und weiter voranschreitet und viel zu wenig dagegen getan wird.“, erklärt Smilla ihre Beweggründe für die Klage. „Davor haben wir schon vieles ausprobiert: Wir haben gestreikt, sind auf die Straße gegangen, haben Protestcamps errichtet. Weil das alles nicht genug gebracht hat, haben wir uns für den Rechtsweg entschieden.“
Unabhängig vom Ausgang der Klimaklage sind sich die beiden einig, dass schon viel erreicht wurde: Der Antrag wird vom VfGH behandelt, die mediale Aufmerksamkeit in Österreich und Europa ist hoch. Weil die Adressat:innen des Klimaschutzgesetzes nicht Kinder, sondern staatliche Institutionen sind, könnte der Antrag vom VfGH allerdings zurückgewiesen werden. „Was wären unsere Kinderrechte überhaupt wert, wenn wir sie nicht einklagen könnten?“, fragt sich Franzi.
Sollte der VfGH dem Antrag aber stattgeben, werden Teile des Klimaschutzgesetzes als verfassungswidrig aufgehoben und ein neues Klimaschutzgesetz muss beschlossen werden. Smilla wünscht sich ein wirksames Gesetz mit konkreten Maßnahmen und Sektorenzielen für Industrie und Verkehr, außerdem Fristen und ernsthafte Konsequenzen bei deren Nichteinhaltung. Es habe ja schon einige Vorschläge für ein Klimaschutzgesetz gegeben, die es nur noch umzusetzen gelte, ergänzt Franzi. „Eigentlich ist es doch arg“, meint sie, „dass wir Kinder uns da hinstellen müssen, um etwas zu fordern, was eigentlich die Aufgabe von Erwachsenen ist, die dafür gewählt wurden. Das ist doch eigentlich absurd.“
Kinder & Jugendliche fühlen sich von der Politik nicht gehört und vertreten
Franzi darf schon wählen, Smilla noch nicht – beide fühlen sich von der Politik nicht wirklich gehört und vertreten. Smilla sieht Kinder, Jugendliche und junge Menschen in der Politik generell unterrepräsentiert. Für sie wäre es eigentlich selbstverständlich, sich um die nächsten Generationen zu kümmern, mit ihnen auf Augenhöhe zu kommunizieren und zu versuchen, ihre Lebensrealität zu verstehen. Auch Franzi findet: „Wir sind die Zukunft, also sollten wir sie auch mitbestimmen dürfen.“ Aus eigener Erfahrung kennt sie das Gefühl, nicht gehört zu werden – den Eindruck, dass ihre Stimme nichts wert ist, nur weil sie jung ist.
Das Argument, dass die Jugend politikverdrossen sei, lassen die beiden nicht gelten. Politische Bildung ist Aufgabe der Schule, sind sie sich einig, und das Fundament einer Demokratie. Jede:r Jugendliche sollte aus der Schule rausgehen und wissen, was er oder sie am Sonntag wählt, meint Smilla.
„Es muss nicht der gesamte Nationalrat durch Kinder ersetzt werden"
Jugendbeiräte, wie es sie in einigen Gemeinden in Österreich bereits gibt, finden die beiden eine gute Idee. „Es muss nicht der gesamte Nationalrat durch Kinder ersetzt werden, darum geht es nicht.“, entgegnet Franzi auf das oft gehörte Argument, man könne ja Kinder und Jugendliche keinen Staat führen lassen. „Es geht darum, dass wir auf den Ebenen, wo wir betroffen sind, mitwirken können.“
Die Wahlen sollten Teil eines breiteren Spektrums an demokratischen Mitbestimmungsprozessen sein, die Kindern und Jugendlichen erlauben, ihre Welt und die eigene Zukunft mitzugestalten, ergänzt Smilla: „Ich glaube in der Schule kann man ganz viel machen. Es gibt ja überschulische Schüler:innenvertretungen, solche Möglichkeiten könnte man viel weiter ausbauen. Dadurch könnte die Schule zu einem demokratischeren Ort werden und auch zeigen, wie wählen aussieht.“
Wie können Politiker:innen das Vertrauen von Kindern und Jugendlichen wieder gewinnen?
„Ganz einfach: einfach machen!“, beantwortet Smilla diese Frage. „Gesetze erlassen, wie das Klimaschutzgesetz, die uns eine gute Zukunft ermöglichen, die wirklich etwas voranbringen.“ Am Ende der Amtszeit einer Regierung solle klar ersichtlich sein, dass die Gesellschaft weiter ist als zu Beginn.
Beide betonen, dass Klimaschutz nicht ausschließlich eine Forderung von Kindern sei – bei der Klimakrise handle es sich um eine gesamtgesellschaftliche Krise. Franzi ist frustriert: „Wir gehen seit vier Jahren auf die Straße und es wird uns nicht zugehört, es wird Wissenschafter:innen nicht zugehört, es wird Menschen nicht zugehört, die seit Jahren unter der Klimakrise leiden, es wird den alten Leuten nicht zugehört, die durch die Hitze große Probleme bekommen.“
Den Grund für die Trägheit und Schwerfälligkeit in der weltweiten Reaktion auf die Klimakrise orten Franzi und Smilla in festgefahrenen Strukturen, Bequemlichkeit und Gewohnheit: „Wir fahren jetzt schon so lange mit dem Auto, wir haben das immer so gemacht, wie sollen wir jetzt damit aufhören?“ Aber auch in der Macht von Industrien, die weiterhin auf Kosten der Zukunft Gewinne einfahren und nicht bereit sind, sich so radikal zu verändern, wie es notwendig wäre. Auch gehe es darum, den Menschen nicht nur Dinge wegzunehmen, sondern ihnen auch zu erklären: „Ihr bekommt dafür ganz viel, wie saubere Städte oder weniger Lärm.”
Nervös, aber erwartungsvoll – der Blick in die Zukunft
Wie geht es den beiden heute, wenn sie an die Zukunft denken? „Ich bin nervös – wegen der Klage, aber auch generell: Was wird in zehn Jahren sein, was in 15, was in 20?“, sagt Smilla. Nur negativ in die Zukunft zu schauen ist für sie trotzdem keine Lösung, sie hat gelernt, sich selbst Hoffnung zu machen. Dazu macht sie sich immer wieder bewusst, was sich bereits geändert hat: in Österreich, in der eigenen Gemeinde, aber auch in der politischen Meinung der eigenen Großeltern.
Franzi findet den Blick in die Zukunft spannend, aber auch beängstigend. Ein Jahr vor der Matura sieht sie sich von der Klimakrise in ihrer persönlichen Lebensplanung stark beeinflusst. Zu der Frage „Was mache ich danach?“ kommt für sie noch hinzu: „Wann ist unser Treibhausgasbudget aufgebraucht? Wie lange habe ich noch ein schönes, gutes Leben?“ Ihr ist klar: „Ich kann mich nicht einfach aus der Verantwortung ziehen, sondern ich muss etwas machen.“
Abschließend möchten die beiden zum nächsten Klimastreik am 15. September 2023 einladen.
Die Klimakrise ist eine Kinderrechtekrise
Die Klimakrise bedroht die Zukunft von Kindern weltweit, die Folgen des Klimawandels und der Umweltbelastungen können für Kinder lebensbedrohlich sein. Bereits heute ist fast jedes Kind auf der Erde von mindestens einem Klimarisikofaktor betroffen, ein Drittel aller Kinder weltweit sind sogar extrem stark durch die Klimakrise gefährdet. Die Klimakrise ist daher auch eine Krise der Kinderrechte.
UNICEF Österreich fragt alle Kinder und Jugendlichen zwischen sechs und 18 Jahren: “Wie sieht eine Welt aus, in der du gut wachsen kannst und alle eine Chance haben?” Beim Ideenwettbewerb “Denk Dir Die Welt!” können Antworten in Form von Zeichnungen und Collagen, Kurzgeschichten und Gedichten, Songs oder Videos eingereicht werden.