Polio kennt keine Grenzen

UNICEF: Kinderlähmung aus Risikoländern eingeschleppt / Internationale Konferenz zur Ausrottung der Kinderlähmung

UNICEF warnt davor, dass der Erreger der Kinderlähmung aus Risikoländern erneut in bereits poliofreie Staaten gelangt. Anlässlich der internationalen Konferenz zur Ausrottung der Kinderlähmung heute in Genf weist UNICEF darauf hin, dass viele poliofreie Entwicklungsländer aus Geldmangel keine Routineimpfungen mehr durchführen. Dadurch steigt die Gefahr, dass Reisende aus Risikogebieten das hoch ansteckende Virus wieder einschleppen. Schätzungsweise 75 Prozent der weltweiten Polioerkrankungen entfallen heute auf Indien, Nigeria und Pakistan. Weitere Erkrankungen wurden 2003 in Afghanistan, Ägypten und Niger registriert. Im vergangenen Jahr verbreitete sich das Polio-Virus allein von Nigeria erneut in sechs Länder Westafrikas aus (Kamerun, Tschad, Benin, Burkina Faso, Ghana und Togo). Die weltweite Kampagne zur Ausrottung der Kinderlähmung steht jetzt vor einer doppelten Herausforderung: es gilt, den Routineimpfschutz in weiten Teilen der Welt aufrecht zu erhalten und gleichzeitig gezielte Impfkampagnen in den Hauptverbreitungsgebieten durchzuführen.

“Polio kennt keine Grenzen", erklärte Dr. Gudrun Berger, Generalsekretärin von UNICEF Österreich. “Sicher vor Kinderlähmung können wir erst dann sein, wenn sie überall auf der Welt ausgerottet ist."

UNICEF, die Weltgesundheitsorganisation, Rotary International sowie verschiedene Stiftungen haben durch gezielte Impfkampagnen und den Aufbau eines Überwachungssystems in den vergangenen 15 Jahren die Kinderlähmung weltweit zurückgedrängt. Noch 1988 erkrankten jeden Tag über 1.000 Kinder in 125 Ländern an Kinderlähmung. Im vergangenen Jahr wurden nur noch 667 “einheimische", d.h. nicht aus anderen Ländern eingeschleppte, Poliofälle in sechs Ländern registriert. Lateinamerika, die Pazifikregion und Europa gelten als poliofrei.

In Genf beraten heute die Gesundheitsminister der besonders von Kinderlähmung betroffenen Länder und Vertreter von UNICEF, Weltgesundheitsorganisation und Rotary International über Strategien zur endgültigen Ausrottung der Kinderlähmung.

Weniger Kinder routinemäßig geimpft
Weil finanzielle Mittel fehlen, ist in den vergangenen Jahren die Zahl der Länder, die routinemäßig Impfkampagnen durchführen, von 100 Ländern im Jahr 2000 auf 15 in 2003 gesunken. Somit bleiben immer mehr neugeborene Kinder in Entwicklungs- und Schwellenländern ohne Impfschutz. Sie sind besonders bedroht, wenn Reisende das Virus zum Beispiel aus Nachbarländern einschleppen. Wenn die Impfkampagnen nicht konsequent weiter geführt werden, besteht die Gefahr neuer Polioepidemien.

Polio in Westafrika
In Risikoländern wie Nigeria erschweren soziale und politische Instabilität den Kampf gegen die Kinderlähmung. Auf den nördlichen Bundesstaat Kano entfällt zum Beispiel heute die Hälfte aller weltweit registrierten Polio-Erkrankungen. Ein schwaches Gesundheitssystem, schlecht ausgebildetes Personal, mangelnde Unterstützung der lokalen Behörden und politische Instabilität beeinträchtigen die Reichweite und Qualität der Impfkampagnen. Gerüchte, wonach der Impfstoff mit Substanzen versetzt sei, die die Fruchtbarkeit reduzieren und das HIV-Virus übertragen würden, verringerten ebenfalls die Akzeptanz der Kampagnen. Die Folge: Ungehindert konnte sich das Polio-Virus nach Kamerun, Tschad, Benin, Burkina Faso, Ghana und Togo ausbreiten, Länder die bereits als poliofrei galten.

Der Kampf gegen Polio
Um die Übertragung des Virus zu stoppen, müssen möglichst alle Kinder im ersten Lebensjahr vier Dosen Polio-Impfstoff in Form einer Schluckimpfung erhalten. Bei so genannten Nationalen Impftagen wird dieser Impfschutz bis zum fünften Geburtstag mehrfach aufgefrischt. Ein Meldesystem für auffällige Krankheitsbilder, Testlabore sowie schnelle Auffrischungsimpfungen in bestimmten Gebieten im Falle eines Polio-Ausbruchs sind weitere zentrale Elemente der internationalen Anti-Polio-Kampagne.

Eine Ausrottung von Kinderlähmung ist möglich, weil der Polio-Erreger außerhalb des menschlichen Körpers nur kurze Zeit überleben kann. Sind alle Menschen geimpft, findet er keinen “Wirt" mehr.

Seit 1955 gibt es einen Impfstoff gegen Polio. Bis dahin kam es immer wieder zu großen Epidemien. Weltweit erkrankten in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts jedes Jahr schätzungsweise 500.000 Kinder an Kinderlähmung. Viele starben oder trugen schwere lebenslange körperliche Behinderungen davon.

Das Polio-Virus wird durch Tröpfchen übertragen und kann innerhalb weniger Stunden in Gehirn und Rückenmark gelangen. Die Symptome ähneln zunächst einer Grippeerkrankung. Fünf bis zehn Prozent der Infizierten erkranken an Hirnhautentzündung, bei einem Prozent kommt es zu Lähmungen, die im Extremfall tödlich sein können. Polio hat die heimtückische Eigenschaft, dass auch infizierte Menschen, bei denen die Krankheit nicht ausbricht, das Virus weiterverbreiten können.