Liebe und Aufmerksamkeit sind die Schlüssel um Traumata zu heilen, sagen jene, die verstörten Kindern helfen
Mugisha ist eine skelettartige Sechsjährige, die aussieht wie eine Dreijährige und hungrige Augen hat. Sie sagt, daß sie Fleisch und Erdäpfel mag, Mais, Bananen und Süßigkeiten. Aber sie dreht sich um und verweigert das Essen. Mugisha versucht sich zu Tode zu hungern.
Das sorgenvolle Mädchen, von dem angenommen wird, daß es den Tod von einem oder beiden Elternteilen miterlebt hat, ist an Anorexia erkrankt, ein vorsätzliches Dahinsiechen, weil ihr der Tod durch Verhungern erträglicher erscheint als ein desolates Leben. Während die meisten Flüchtlinge in Ruanda um ihre Rationen zu einer Zeit der Nahrungsmittelknappheit kämpfen und sich darum schlagen, verschwindet Mugisha einfach still.
"Sie will nicht essen, sie will nicht leben, sie will nur sterben, und es gibt viel so wie sie, Säuglinge eingeschlossen", sagt Laure Bonnel, Koordinator für das von UNICEF finanzierte Zentrum für verstörte Kinder und Jugendliche, in dem Mugisha lebt. Das Zentrum wird von der französischen nicht-staatlichen Organisation AFSEA (Association Francaise Pour La Sauvegarde de L´Enfance et de L´Adolescence) geleitet, und sorgt für 80 Kinder, die meisten sind Flüchtlinge aus Ruanda.
Sogar manche Säuglinge, die weniger als ein Jahr alt sind, verweigern die Nahrungsaufnahme und schwinden dahin, wenn ihnen menschlicher Kontakt und Zuneigung vorenthalten werden. Die Heimsuchung durch Anorexia ist besonders in überfüllten unterbesetzten Zentren für alleinstehende Kinder zu beobachten, kleine und größere Kinder erhalten weinig persönliche Zuneigung und Wärme. Manche entgehen der Aufmerksamkeit, weil sie so schwach und passiv sind. UNICEF und seine Partner betonen die Wichtigkeit der Entwicklung und Anregung im frühen Kindesalter, sie spornen die gequälten Mütter in den Flüchtlingslagern an, ihren Schützlingen mehr Aufmerksamkeit zu widmen, sie zu halten, mit ihnen zu sprechen und ihnen klarzumachen, daß sie wichtig sind.
Mugisha - ihren zweiten Namen kennt sie nicht- wurde in einem Ernährungszentrum für stark unterernährte Kinder gefunden, wo ihr Fall schließlich als psychosomatische Störung diagnostiziert wurde, entstanden durch das Trauma des Kriegs. Sie ist eines von Tausenden von Kindern aus Ruanda, sowohl innerhalb als auch in Flüchtlingslagern außerhalb des Landes, die an Traumata leiden. Entwicklungshelfer, Psychologen und Ernährungswissenschaftler schließen sich mit dem lokalen Personal in den verschieden Kinderzentren zusammen, in dem Bemühen, ihnen zu helfen.
Manche der Kinder sind distanziert, vegetieren dahin, manche haben motorische Störungen, manche schreien und weinen, manche sind stumm, manche aggressiv, manche fügen sich selbst Schmerzen zu. Viele haben Alpträume, einige sind Bettnässer, manche versuchen unter ihren Betten zu schlafen, aus Angst vor einem Angriff. Einige essen zwanghaft, um sich zu trösten, andere, wie Mugisha, würden lieber sterben und entschwinden.
Mugisha´s Therapie ist einfach: Zuneigung, menschlicher Kontakt, Umarmungen und Küsse, Gespräche und Spiele - mit Kindern, Hunden und Ziegen - all das würde ihr helfen sich gemocht und eingebunden zu fühlen, nicht aufgegeben und verlassen. Kürzlich tauchte eine Tante auf, und Mugisha begann zu lächeln. Im Zuge einer Therapie mit gesundem Menschenverstand wird sie an einen Ort gebracht, der ein Anathema darstellen würde, der letzte Ort den sie besuchen würde - die Küche. Aber dort sitzt sie im Schoß der Köchin, Yalala Mungumwa, während die Frau das Mädchen liebkost, sich mit ihr unterhält und Salat schneidet oder Erdäpfel schält. Jetzt will Mugisha selbst in die Küche gehen und mit Yalala zusammen sein.
Die Idee hier ist nicht den Schmerz zu konfrontieren, ihre schrecklichen Erinnerungen aus ihr herauszuholen, sie zu zwingen über ihre Erinnerungen zu sprechen und darüber, warum sie nicht essen will. Vielleicht kann das geschehen, wenn Mugisha stärker ist.
Es gibt einige hoffnungsvolle Zeichen, aber der Heilungsprozeß ist schwankend. Mugisha beginnt ein wenig zu essen, sie gewinnt, verliert, nimmt etwa einen Kilo zu. Sie interessiert sich mehr für die Welt rund um sie. Sie lächelt mehr. Jetzt läuft sie in die Küche, nicht weil sie hungrig nach Essen ist, sondern weil sie Zuwendung braucht.