UNICEF-Osteuropa-Report 2004: Kein Aufschwung für Kinder

Armut, Drogen und AIDS bedrohen Kinder und Jugendliche in Osteuropa und den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion

Fünfzehn Jahre nach dem Fall der Mauer lebt in den meisten Staaten Osteuropas und der ehemaligen Sowjetunion jedes dritte Kind in Armut. Allein in den neun Staaten der Region, für die Armutsdaten vorliegen, sind dies rund 14 Millionen Kinder. Dies ist Ergebnis des UNICEF-Osteuropa-Reports 2004. Trotz langsamer wirtschaftlicher Erholung liegt die Wirtschaftsleistung in vielen Staaten immer noch deutlich unter der von 1989. UNICEF warnt vor den dramatischen Folgen wachsender sozialer Gegensätze und dem gesellschaftlichen Ausschluss von Millionen benachteiligter Kinder.

Ein Alarmsignal ist der massive Anstieg des Alkohol- und Drogenkonsums, der entscheidend zu der hohen Sterblichkeit in der Altersgruppe zwischen 15 und 24 Jahren beiträgt. Allein im Jahr 2001 starben 58.000 junge Menschen in der Region durch Unfälle, Vergiftungen, Selbstmord oder durch Gewalt. Verseuchte Injektionsnadeln und ungeschützter Geschlechtsverkehr haben zu einer Explosion der HIV-Infektionen geführt. Im vergangenen Jahr infizierten sich schätzungsweise 230.000 Menschen in der Region – 80 Prozent waren unter 30 Jahre alt.

"Der wirtschaftliche Aufschwung in Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion geht an den Kindern vorbei. Armut höhlt den sozialen Zusammenhalt dieser neuen Gesellschaften aus", erklärte UNICEF-Direktorin Carol Bellamy.

Wachsende Ungleichheit und sozialer Stress

Die Früchte der langsamen wirtschaftlichen Erholung nach dem Zusammenbruch des Kommunismus sind sowohl innerhalb der Länder als auch in der Region sehr ungleich verteilt. In Russland liegt die Wirtschaftsleistung erst bei 75 Prozent des Wertes von 1989, in Georgien und Moldawien liegt sie bei nur 40 Prozent. Die Durchschnittseinkommen sind nur in den acht Beitrittsstaaten zur Europäischen Union (Estland, Lettland, Litauen, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn) merklich gestiegen. Trotz Wachstum hat die Zahl der Arbeitsplätze in den letzten Jahren kaum zugenommen, sie sinkt in Ländern wie Litauen, Polen, Serbien und Montenegro sogar.

Das Ausmaß an sozialem Stress durch Arbeitslosigkeit und fehlende Perspektiven in vielen Familien spiegelt sich in dramatischen Scheidungsraten wider. In Russland beispielsweise werden 83 von 100 Ehen geschieden. Weil es in den meisten Staaten nur in Ansätzen eine präventive Sozialarbeit gibt, ist eine vorherrschende Antwort auf Probleme in den Familien nach wie vor die Unterbringung der Kinder in staatlichen Einrichtungen. Über 700.000 Kinder leben in Heimen oder ähnlichen Einrichtungen, weil ihre Eltern sie nicht mehr versorgen können oder wollen. Dort werden sie nur unzureichend auf ein selbständiges Leben vorbereitet. Häufig laufen sie im Jugendalter aus den Einrichtungen fort und landen auf der Straße.

Flucht in den Rausch

Besorgniserregend ist für UNICEF insbesondere der dramatische Anstieg des Konsums aller Arten von legalen und illegalen Drogen. Benachteiligte Kinder aus zerrütteten Familien, Heimkinder, Kinder aus Strafanstalten sowie Flüchtlinge und Vertriebene sind besonders in Gefahr, ihre Hoffnungslosigkeit und Leere durch Drogen zu betäuben.

  • Alkohol: Bei Befragungen in der Ukraine gaben 61 Prozent der Jungen und 45 Prozent der Mädchen im Alter von 15 Jahren an, dass sie bei zwei oder mehreren Gelegenheiten betrunken gewesen seien. In Russland hat der Alkoholkonsum bei Heranwachsenden seit 1993 um 18 Prozent zugenommen: in den baltischen Staaten sogar um 30 Prozent. Unterstützt wird diese Entwicklung durch massive Werbung für alkoholische Getränke, die sich besonders an junge Menschen als Zielgruppe wendet.
  • Harte Drogen: Schätzungsweise 3,3 Millionen Menschen in der Region nehmen Opiate und 2,4 Millionen Amphetamine. Besonders Opiate sind billig und leicht verfügbar.



AIDS: Explosion der Neuinfektionen

Die meisten Drogen werden von Jugendlichen und jungen Erwachsenen konsumiert. Viele werden abhängig und spritzen sich immer höhere Dosen. Häufig tauschen sie dabei mit anderen Abhängigen die Nadeln. Dies ist die Hauptursache für die explosionsartige Ausbreitung von HIV-Infektionen. In den größeren Städten Russlands, Weißrusslands und der Ukraine sind 60 bis 70 Prozent der Süchtigen, die Drogen spritzen, infiziert. Häufig finanzieren sie die Drogen mit Prostitution und geben so das Virus an ihre Kunden weiter.