WELTAIDSREPORT 1997: Kinder mit HIV/AIDS: Eine gefährdete Zukunft

HIV/AIDS ist eine der Krankheit der jungen Generation:
Letztes Jahr wurden fast 400.000 Kinder unter 15 Jahren mit dem HIV-Virus infiziert.
Ende 1996 waren weltweit etwa 830.000 Kinder HIV-Positiv.
Bis Ende 1997 werden etwa 1 Million Kinder HIV-Positiv sein.
1996 starben 1,5 Millionen Menschen an AIDS, 350.000 davon waren Kinder unter 15 Jahren.

Bei HIV-Positiven Kindern kommt es schneller zum Ausbruch der Krankheit und zum Tod als bei Erwachsenen. AIDS tötet vor allem Kinder in Entwicklungsländern sehr schnell. In Europa leben 80 Prozent aller HIV-Positiven Kinder bis zu ihrem dritten Geburtstag, und über 20 Prozent vollenden ihr zehntes Lebensjahr. In Sambia zeigte eine Studie, daß die Hälfte aller HIV-Positiven Kinder ihren zweiten Geburtstag nicht erleben. In Uganda erleben 66 Prozent ihren dritten Geburtstag nicht.

In Afrika ist die Lage für kranke HIV-Positive Kinder sehr kritisch. Antibiotika und andere Medikamente stehen oft nicht zur Verfügung. Arme Familien können sich keine oder nur unzureichende medizinische Versorgung leisten. Spezielle Medikamente stehen Spitälern und Ärzten in den ärmsten Ländern der Welt nicht zur Verfügung.

Armut ist die Hauptursache für das schnellere Sterben der Kinder an AIDS in den Entwicklungsländern. Wenn Kinder unterernährt sind, dann ist auch ihr Immunsystem sehr schwach. Wenn Familien keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben, sind sie sehr anfällig für Infektionskrankheiten wie Diarrhöe. Wenn viele Kinder in einem Raum schlafen, ist die Ansteckungsgefahr mit Tuberkulose und anderen Atemwegserkrankungen weitaus größer.

Kinder mit HIV/AIDS sterben oft an den typischen Kinderkrankheiten wie Durchfall, Masern, Tuberkulose und anderen Atemwegsinfektionen. Da auch HIV-Negative Kinder an diesen Krankheiten sterben, ist es für Gesundheitsarbeiter in armen Ländern ohne Zugang zu teuren Aids-Tests schwierig, HIV-Positive von HIV-Negativen Kindern zu unterscheiden. Das könnte zumindestens zwei wichtige Konsequenzen haben. Erstens könnten HIV-Positive Kinder nicht die spezielle Betreuung erhalten, die sie brauchen. Zweitens könnte eine generelle Gleichgültigkeit gegenüber Gesundheit von Kindern entstehen, mit schwerwiegenden Folgen für alle Kinder. Denn das Ansteigen der Todesfälle von Kindern infolge von AIDS könnte zu der falschen Annahme führen, daß Impf- und Ernährungsprogramme für Kinder nichts nützen.

Frauen und Kinder sind doppelt gefährdet. Die vorherrschende Übertragung des HIV-Virus auf neugeborene Babys ist die sogenannte vertikale Übertragung durch ihre Mütter. Einige Babys werden in den armen Ländern zwar noch immer durch infiziertes Blut oder medizinische Instrumente angesteckt, doch eigentlich wurden fast alle HIV-Positiven Babys von ihren HIV-Positiven Müttern angesteckt - während Schwangerschaft, Geburt oder Stillen.

Frauen im gebärfähigen Alter machen weltweit bereits einen großen Teil der HIV-Positiven Menschen aus - und dieser Anteil ist im Steigen begriffen. Dieser Trend spiegelt deutlich ihre biologische und soziale Anfälligkeit wider. Letztes Jahr wurden 2,7 Millionen Erwachsene mit dem HIV-Virus infiziert., beinahe die Hälfte davon waren Frauen. Heute tötet AIDS in Afrika südlich der Sahara bereits mehr Frauen als Männer. Diskriminierung im gesetzlichen, wirtschaftlichen und sozialen Bereich, sowie Unachtsamkeit gegenüber ihrer sexuellen Gesundheit beeinflußt maßgebend die Anfälligkeit von Frauen für AIDS.

In Kenia zum Beispiel wird die Anfälligkeit von Frauen durch historische Entwicklungen noch verschlimmert. Männer sind oft für lange Zeit von ihren Familien getrennt, und die Akzeptanz von außerehelichen Geschlechtsverkehr der Männer ist daher sehr hoch. Auch das Verhalten älterer Männer, die ihren Reichtum und ihr Prestige dazu benutzen, sexuelle Beziehungen mit jungen Frauen und Mädchen führen zu können, wird gebilligt.

Die Rechte von Frauen müssen gefördert und geschützt werden. Das wurde auf der International Conference on Population and Development 1994 in Kairo bekräftigt und auf der United Nations Fourth World Conference on Women 1995 in Beijing. Auf beiden Konferenzen wurde zu Aufklärungsprogrammen für Frauen und Mädchen aufgerufen, und es wurde gefordert, die Diskriminierung von Frauen und Mädchen zu beenden. Diese Forderung schließt auch die Fähigkeit aller Frauen - ob HIV-Positiv oder nicht - mit ein, Entscheidungen über ihre reproduktive und Sexuelle Gesundheit zu treffen und auch auszuführen, wie zum Beispiel die Vermeidung von ungeplanten und/oder ungewollten Schwangerschaften. Es ist auch unbedingt notwendig den Zugang von Frauen zu Aufklärung über HIV/AIDS zu vergrößern, einschließlich Information über die Risiken der vertikalen Übertragung auf ihre Babys.

Doch Aidsprogramme müssen vermeiden, Frauen nur als Mütter zu sehen. Es wäre tragisch, wenn wieder einmal - wie im Falle der Empfängnisverhütung - den Frauen allein die Verantwortung für HIV-Prävention in sexuellen Beziehungen übertragen wird.

Nicht alle Kinder HIV-Positiver Mütter werden infiziert, doch das Risiko ist in armen Ländern deutlich höher. Die meisten Studien schätzen das Risiko in Industrieländern zwischen 13 und 25 Prozent ein, in Entwicklungsländern zwischen 25 und 44 Prozent. Einige Faktoren erhöhen das Risiko einer HIV-Positiven Frau, ein infiziertes Baby zu haben, wie zum Beispiel ein schwaches Immunsystem, Unterernährung, Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen.

Ein weiterer Risikofaktor für das Baby ist Stillen. Es wird angenommen, daß eines von fünf Babys von HIV-Positiven Müttern während der Geburt angesteckt wird, und eines von sieben durch Stillen. Stillen kann durch die Übertragung des HIV-Virus töten, doch Ernährung mit Muttermilchersatzprodukten ist ebenfalls gefährlich und erhöht das Risiko der Säuglingssterblichkeit. Stillen ist erwiesenermaßen die beste Ernährung für Babys. Es schützt das Kind vor Krankheiten und ist gratis. Die Kosten für Fläschchennahrung und auch das saubere Wasser und der Brennstoff für die Zubereitung liegen allerdings meist weit außerhalb der Mittel von armen Familien in den Entwicklungsländern.

HIV-Positive Mütter stehen vor einer schwierigen Entscheidung, die auch vom jeweiligen sozioökonomischen Status des Landes und der Frau selbst abhängt. In Thailand zum Beispiel ist der Zugang zu sauberem Trinkwasser sehr hoch. Die thailändische Regierung versorgt HIV-Positive Mütter mit kostenloser Babynahrung und mit Information. In Afrika südlich der Sahara wäre diese Lösung nicht sinnvoll, da in vielen Fällen kein sauberes Trinkwasser zur Verfügung steht.

HIV-Positive Mütter müssen vollständig über alle Risiken aufgeklärt werden. Außerdem müssen Aidstests und Aidsberatung allgemein zugänglich gemacht werden.

Anti-HIV-Medikamente, um die vertikale Übertragung einzuschränken: Die Verabreichung des Medikaments AZT an schwangere Frauen und an das Neugeborene reduzieren die vertikale Übertragung um 68 Prozent. Ohne AZT war die Mutter-Kind Übertragung 25,5 Prozent, mit AZT beträgt sie nur 8,3 Prozent. Doch es ist eigentlich kaum möglich, dieses Medikament in den Entwicklungsländern einzusetzen. Erstens ist AZT ein sehr teures Medikament. Eine komplette Behandlung für eine schwangere Frau und ihr neugeborenes Baby kostet in den Vereinigten Staaten etwa 1.000 bis 1.500 US-Dollar. Ein weiteres wichtiges Problem ist die Tatsache, daß AZT bereits Monate vor der Geburt verabreicht werden muß. Während der Geburt muß AZT mittels intravenöser Infusion verabreicht werden. In vielen Entwicklungsländern können die Geburtskliniken und die Gesundheitszentren diese Anforderungen nicht erfüllen.

In vielen Industrieländern und in Ländern wie Brasilien wird die Behandlung mit AZT HIV-Positiven schwangeren Frauen routinemäßig angeboten. In anderen Ländern wie Thailand sind Überlegungen von Seiten der Regierung im Gange. Doch in vielen Entwicklungsländern, wo die jährlichen Gesundheitsausgaben pro Kopf nur 10 US-Dollar betragen, und wo Frauen, falls überhaupt, Kliniken nur im letzten Stadium der Schwangerschaft aufsuchen, steht AZT nur sehr reichen Frauen zur Verfügung.

Eines der wichtigsten Ziele von UNAIDS und seinen Partnern ist der erweiterte Zugang zu Medikamenten für die HIV/AIDS - Behandlung in den Entwicklungsländern. Zu diesem Zweck wird gerade ein Versuch in Südafrika, Tansania und Uganda durchgeführt, um die Wirksamkeit von drei einfacheren und kürzer dauernden Behandlungsmethoden zu testen. Dieser Versuch ist der realen Situation angepaßt. Die 1.900 HIV-Positiven Teilnehmerinnen sind über den Versuch vollständig informiert.

Jedes Jahr werden 350.000 Kinder in den Entwicklungsländern von ihren Müttern durch vertikale Übertragung mit dem HIV-Virus infiziert. Das Entwickeln von wirksamen Behandlungsmethoden, die den Standards in Entwicklungsländern angepaßt sind, ist eine Chance, den Zugang von Frauen zu Medikamenten, die ihre Neugeborenen schützen, zu erhöhen.

Rund 10 Prozent aller HIV-Positiven Kinder unter 15 Jahren werden auf anderem Weg infiziert. Einige Kinder werden durch Transfusionen angesteckt, andere durch nicht-sterile medizinische Instrumente. Geschlechtsverkehr, Drogenkonsum durch Injektionen und sexueller Mißbrauch sind weitere Gründe.