Wertvolle Zeit wurde verloren"

UNICEF angesichts der HIV/AIDS-Krise in Osteuropa

Wien, New York, 18. September 2002 - HIV/AIDS breitet sich in Teilen Ost- und Zentraleuropas und der ehemaligen Sowjetunion* rascher aus als irgendwo anders auf der Welt, stellt UNICEF in seinem neuen Osteuropareport "The Social Monitor" fest. Der Report warnt, daß HIV/AIDS die größte Gefahr für die Gesundheit der Kinder in dieser Region darstellt, da die Krankheit in einigen Ländern - praktisch ungehindert ­ große Teile der Bevölkerung bedroht.

"Die Folgen für das Wirtschaftswachstum und die soziale Stabilität der Region sind alarmierend", sagte UNICEF-Direktorin Carol Bellamy. "In dieser Region trägt HIV/AIDS ein junges Gesicht. Die meisten Neuinfektionen betreffen junge Menschen. Ihr geringes Bewußtsein hinsichtlich HIV/AIDS kombiniert mit zunehmend risikoreichem Verhalten kündigen eine Katastrophe an. Es ist klar, daß der Ernst der Lage unterschätzt und wertvolle Zeit verloren wurde. Ohne sofortige und radikale Maßnahmen kann die Ausbreitung der Krankheit kaum gestoppt werden."

Zwischen 1997 und 2000 betrafen in den ehemaligen Sowjetrepubliken 80 Prozent aller Neuinfektionen Menschen unter 29 Jahren. In Estland betrafen 38 Prozent der Neuinfektionen Menschen unter 20 Jahren und 90 Prozent Menschen unter 30 Jahren.

Hauptursachen für das rasche Ausbreiten von HIV/AIDS in einigen Ländern sind laut UNICEF-Report der verstärkte Mißbrauch von injizierbaren Drogen, frühe sexuelle Aktivität und die steigende Zahl von Prostituierten.

Schätzungen gehen davon aus, daß Ende 2001 in Ost- und Zentraleuropas und der ehemaligen Sowjetunion etwa 1 Millionen Menschen mit HIV/AIDS leben ­ im Jahr 1998 waren es 420.000. Zwischen 1998 und 2001 verfünffachte sich die Zahl der neu registrierten Fälle. 90 Prozent der HIV/AIDS-Fälle in der gesamten Region finden sich in nur zwei Ländern ­ in Rußland und in der Ukraine. Die höchste Rate von Neuinfektionen weist allerdings Estland auf: mehr als einer von tausend Einwohnern infizierte sich im Jahr 2001 mit HIV/AIDS - zwanzigmal höher als die durchschnittliche Rate in der EU.

Aber auch in Lettland und Kasachstan breitet sich HIV/AIDS enorm rasch aus und in der Ukraine und in Moldawien steigen die Neuinfektionen ebenfalls wieder an. Und obwohl das Datenmaterial für den zentral- und südosteuropäischen Raum eine geringere HIV/AIDS-Ausbreitung zeigt, gibt es keinen Grund für Zufriedenheit.

Der Großteil der Infektionen in dieser Region betrifft Menschen, die Drogen injizieren. Aber der UNICEF-Report zeigt auch, daß sich immer mehr Menschen durch ungeschützten Geschlechtsverkehr infizieren. 1996 wurden in Weißrußland 8 Prozent aller Neuinfektionen ungeschütztem Geschlechtsverkehr zugeschrieben, in der ersten Hälfte des Jahres 2001 bereits 32 Prozent. Das hohe Vorkommen von Geschlechtskrankheiten wie Syphilis oder Gonorrhöe weist darauf hin, daß HIV/AIDS sich auch auf diesem Weg rasch ausbreiten wird. Auch die hohe Zahl von infizierten Frauen spricht für einen Ansteig der sexuellen Übertragung. Zwischen 1997 und 2000 waren 25 Prozent aller offiziell registrierten Infektionen Frauen.

Der Report betont, daß trotz allem das Bewußtsein über HIV-Prävention weitaus geringer ist ­ auch in den am stärksten betroffenen Ländern - als in Westeuropa. Eine UNICEF-Umfrage in der Region ergab, daß das Bewußtsein unter Teenagern hinsichtlich Kondomen als Prävention signifikant geringer ist als in Westeuropa. 97 Prozent der französischen und 87 Prozent der deutschen Teenager wissen über die Schutzfunktion von Kondomen Bescheid ­ im Gegensatz zu unter 70 Prozent in Weißrußland, in der Ukraine oder in Lettland.

"Wir sehen in den Ländern, die als erste betroffen waren, die Ausbreitung von HIV/AIDS auch in jenen Teilen der Bevölkerung, die nicht zu den klassischen Risikogruppen gehören. Unsere Angst ist, daß wir dasselbe Szenario in naher Zukunft auch in anderen Ländern sehen werden," sagte Carol Bellamy.

Laut UNICEF-Report hatten die nationalen Programme hinsichtlich HIV/AIDS in den am schlimmsten betroffenen Ländern wie Rußland, Weißrußland und der Ukraine zuwenig Wirkung. Allerdings gibt es eine Reihe kleinerer Projekte für Risikogruppen, die Verhaltensweisen und Einstellungen verändern und als Modell für zukünftige Aktionen dienen könnten. Die erfolgreichsten dieser Programme sind auf die Bedürfnisse von Risikogruppen zugeschnitten und werden in Absprache mit den Betroffenen durchgeführt. Der Report nennt weiters Bereiche, für die sofortiges Handeln notwendig ist:

- Aktive Beteiligung von jungen Menschen an Bewußtseins- und Informationskampagnen.
- Offener Umgang mit der Thematik HIV/AIDS an Schulen
- Maßgeschneiderte, zielgerichtete Strategien um wirklich alle Gruppierungen zu erreichen
- Jugendfreundliche, frei zugängliche Gesundheits- und Beratungsdienste

"In dieser Region gibt es wertvolle Faktoren, die für den Kampf gegen HIV/AIDS wichtig sind", betonte Carol Bellamy. "Es gibt bereits Projekte, die einen Unterschied bewirken, es gibt Gesundheitsdienste und Schulbildung. Auf diesen Stärken müssen wir aufbauen."

*Die 27 Länder Ost- und Zentraleuropas und der ehemaligen Sowjetunion sind: Albanien, Armenien, Aserbaidschan, Bosnien-Herzegowina, Bulgarien, Bundesrepublik Jugoslawien, Estland, Georgien, Kasachstan, Kirgisistan, Kroatien, Lettland, Lithauen, Mazedonien, Moldau, Polen, Rumänien, Russische Föderation, Slovakei, Slovenien, Tadschikistan, Tschechische Republik, Turkmenistan, Ukraine, Ungarn, Uzbekistan, Weißrußland.