Beirut: Ein Jahr nach den Explosionen – die Lage der Kinder ist alarmierend

Beirut/Wien - Ein Jahr nach den verheerenden Explosionen in Beirut zeigt eine UNICEF-Umfrage, dass die Bedürfnisse der betroffenen Kinder und Familien weiterhin ungebrochen hoch sind. 98 % der Familien sind bedürftig. Die Situation wird durch eine zusammenbrechende Wirtschaft, politische Instabilität und die COVID-19-Pandemie verstärkt.

Ein Bub blickt über das Panorama von Beirut.
Bei der gewaltigen Explosion kamen mehr als 20 Menschen, darunter sechs Kinder, ums Leben. Mehr als 6.500 Menschen wurden verletzt, darunter schätzungsweise 1.000 Kinder.

Beirut/Wien, 3. August 2021 - Die Schnellbewertung verdeutlicht die Schwere des Traumas, das die Kinder erlitten haben, und den dringenden Bedarf, den die Familien haben.

Sieben von zehn Haushalten suchten nach den Explosionen vom 4. August 2020 um grundlegende Hilfe an, und fast alle dieser Familien benötigen weiterhin Unterstützung. Die meisten Anträge betrafen Bargeld und Lebensmittel, was auch weiterhin der Fall ist.

Ein Drittel der Familien mit Kindern unter 18 Jahren gab an, dass mindestens ein Kind in ihrem Haushalt immer noch Anzeichen von psychischer Belastung zeigt.  Bei den Erwachsenen ist es fast die Hälfte.

„Ein Jahr nach den tragischen Ereignissen ist das Leben der Kinder noch immer stark beeinträchtigt. Das berichten uns ihre Eltern", sagt Yukie Mokuo, UNICEF-Vertreterin im Libanon. „Diese Familien haben damit zu kämpfen, sich von den Folgen der Explosionen zu erholen, und das zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt – inmitten einer verheerenden Wirtschaftskrise und einer schweren Pandemie."

Die Explosionen verwüsteten weite Teile Beiruts, töteten mehr als 200 Menschen, darunter sechs Kinder, und verletzten mehr als 6.500 Personen, darunter 1.000 Kinder.

Durch die Zerstörung von Geschäften verloren Zehntausende Arbeitnehmer*innen ihren Arbeitsplatz und haben nun Mühe, ihre Familien zu ernähren und für die medizinische Versorgung ihrer Kinder zu sorgen. Die UNICEF-Erhebung zeigt, dass zwei von drei Familien (68,6 Prozent) seit den Explosionen keinen Zugang zu medizinischer Versorgung oder Medikamenten hatten. Erschwerend kommt hinzu, dass in einer von vier Familien mindestens ein Haushaltsmitglied seit den Explosionen positiv auf COVID-19 getestet wurde.

Die Umfrage, die auf Telefoninterviews mit 1.187 Haushalten im Juli basiert, zeigt auch:

  • Fast alle Familien gaben an, dass ihre Häuser nach den Explosionen repariert werden mussten, und etwa die Hälfte der Familien gab an, dass dies immer noch der Fall ist.
  • Vier von zehn Familien gaben an, dass ihr Wasserversorgungssystem durch die Explosionen beeinträchtigt wurde, und etwa ein Viertel dieser Familien sagte, dass dies immer noch der Fall sei.

„Seit der Explosion befindet sich der Libanon im freien Fall und kämpft mit einer dreifachen Krise: Der wirtschaftlichen, der politischen und der COVID-19-Pandemie. Dadurch droht fast jedes Kind im Libanon schutzlos und bedürftig zu werden“, sagt Ted Chaiban, UNICEF-Regionaldirektor für den Nahen Osten und Nordafrika. „Wenn Veränderung, Wiederaufbau und Verantwortlichkeit nicht jetzt stattfinden, wird dies vielleicht gar nie der Fall sein und das Land weiter in den Abgrund und an einen Ort ohne Rückkehrmöglichkeit führen.“

UNICEF ruft dazu auf:

  • der Verbesserung der Lage der Kinder im Libanon Priorität einzuräumen, ihre Rechte zu achten und umzusetzen. Sie brauchen Zugang zu Gesundheitsversorgung und Nahrung und sie müssen vor Gewalt, Missbrauch und Ausbeutung geschützt werden;
  • dass die führenden libanesischen Politiker ihre politischen Differenzen überwinden und eine Regierung bilden, die das Gemeinwesen und die libanesischen Menschen in den Mittelpunkt stellt, um das Land auf den Weg der Besserung zu bringen, den von der Explosion betroffenen Familien Gerechtigkeit zukommen zu lassen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen;
  • öffentliche Dienstleistungen, die für das Überleben und die Entwicklung von Kindern unerlässlich sind, kurz- und langfristig zu sichern. Dazu gehört die Bereitstellung von Wasser, Bildung und Gesundheitsversorgung für Kinder und alle Menschen. Dies kann jedoch nur durch eine gute Regierungsführung und eine öffentliche Infrastruktur geschehen, die schweren Schocks und Krisen standhält. Wären diese Systeme vorhanden, wären wir nicht an dem Punkt angelangt, an dem beispielweise 75 Prozente der Haushalte im Libanon Gefahr laufen, ihren Zugang zu Wasser zu verlieren.
  • Ein nachhaltiges nationales Sozialhilfesystem aufzubauen, das u.a. bedürftige Familien mit Bargeldhilfen erreicht, ähnlich wie das von UNICEF unterstützte "Haddi"-Programm. Dadurch wären bedürftige Familien mit Kleinkindern, Menschen mit Behinderungen und Menschen über 70 Jahren abgesichert.
  • eine transparente und glaubwürdige Untersuchung einzuleiten, um die Ursache der Explosionen zu ermitteln, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen und den betroffenen Familien, einschließlich derer, die Angehörige verloren haben, Gerechtigkeit zu ermöglichen.

Für Redaktionen

Der Bericht in Englisch

Eine Auswahl an Videos und Fotos steht Redaktionen im Rahmen der Berichterstattung zum kostenfreien Download zur Verfügung.

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